„Menschen haben die in Bosnien wahrlich genug“

■ Andrea Frohmader von der Flüchtlings-Hilfsorganisation „Brücke der Hoffnung“über die Rückführungen nach Bosnien, die Gemütslage der Menschen und politische Forderungen

remen will nach Ostern die ersten bosnischen Kriegsflüchtlinge nach Bosnien zurückführen. In dieser ersten Phase müssen Ledige und kinderlose Ehepaare Deutschland verlassen. Das betrifft in Bremen bereits 650 der hier lebenden 3.200 Flüchtlinge. Zu diesem Anlaß hatte das Anti-Rassismus-Büro Bremen zu einer Demonstration gegen die Rückführungen aufgerufen. Über die Demonstration, die Verhältnisse in Bosnien und vor allem die anstehenden ersten Rückführungen sprach die taz mit Andrea Frohmader von der Flüchlingsinitiative Brücke der Hoffnung, die noch bis vor zwei Wochen in Bosnien war.

taz: Frau Frohmader, am Dienstag demonstrierten nur ungefähr 70 von 3.200 bosnischen Kriegsflüchtlingen in Bremen. Woran lag das?

Andrea Frohmader, Brücke der Hoffnung: Das lag wahrscheinlich daran, daß die Institutionen, etwa die Arbeiterwohlfahrt, der Arbeiter-Samariter-Bund oder die Brücke der Hoffnung, die die Bosnier hier in Bremen jahrelang betreut haben, nicht beteiligt waren.

Die Demonstration am Dienstag hat das Anti-Rassismus-Büro organisiert. Warum haben die so wenig Leute mobilisieren können?

Ganz einfach. Mir ist nicht bekannt, daß sich das Anti-Rassismus-Büro in den letzten vier Jahren in der Frage um die bosnische Problematik besonders hervorgetan hat. Das liegt daran daß das Büro immer auf die akuten Probleme einer Volksgruppe eingeht. Jetzt steht eben die Rückführung der bosnischen Flüchtlinge an. Darum bemüht sich das Anti-Rassismus-Büro jetzt um die Bosnier.

Nun ist die Demonstration auch von politischen Gruppen mitorganisiert worden. So etwa von dem Kommittee der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, das eine sozialistisch orientierte Petition verbreitet hat. Wollen sich die Flüchtlinge einfach nicht instrumentalisieren lassen?

Das mag sein. Fast alle der bosnischen Flüchtlinge die ich kenne, sagen, wir wollen uns in keine politische Richtung drängen lassen. Unter anderem auch deshalb, weil sie die politischen Verhältnisse nicht mehr durchschauen. Einmal die politischen Verhältnisse in ihrer Heimat, etwa die Politik der bosnischen Regierungspartei SDA um Ministerpräsident Alia Izetbegovic. Zum anderen ist ein Problem, daß die auslandspolitischen Gruppen noch einmal anders arbeiten. Darum sagen viele Flüchtlinge, wir wollen uns vor keinen Karren mehr spannen lassen, wir durchblicken das ganze im Moment ohnehin nicht.

Woher stammt diese Hilflosigkeit?

Sehr viele der bosnischen Flüchtlinge zählen zur einfachsten Landbevölkerung, die jetzt plötzlich aufgerufen ist, sich politisch zu engagieren und zu äußern. Was mir zum Beispiel die Frauen so erzählt haben, die haben das immer so einfach hingenommen, was da kam in Jugoslawien. Die haben schließlich 40 Jahre weichen Kommunismus hinter sich. Damit hatten sie sich eingerichtet. Die politischen Umbrüche in den letzten Jahren hat die Landbevölkerung gar nicht so direkt mitbekommen. Abgesehen vom Bürgerkrieg. Bei Leuten aus Sarajewo ist das ganz anders. Aber die einfachen Leute, die wir hier hauptsächlich in Bremen haben, die waren kaum politisiert.

Jetzt stehen in Bremen die ersten Rückführungen auf der Tagesordnung. Wie ist die Stimmung unter den bosnischen Flüchtlingen?

Ganz schlecht. Zwei Drittel der Flüchtlinge stammen aus der Republica Srebsca. Die werden nicht in ihre Heimat zurückkehren können. Sie werden wieder Vertriebene im eigenen Land sein. Sie wissen aus Telefonaten mit Verwandten, daß sie erneut diskriminiert werden. Darum haben sie große Angst vor der Heimkehr. Zudem werden sie schlicht und ergreifend keine Unterkünfte vorfinden. Diese Aussage habe ich noch vor zwei Wochen definitiv von dem Bürgermeister von Tuzla bekommen. Es gibt keine Unterkünfte und keine Arbeit.

Schiebt man die Menschen damit in die Obdachlosigkeit ab, in Armut bis hin zu lebensbedrohenden Verhältnissen?

Genauso muß man sich das vorstellen. In der Region Tuzla ist es so, daß die kollektiven Flüchtlingszentren, wie etwa Turnhallen, Schulen oder ähnliches, alle überfüllt sind. Ich weiß, daß die Leute auf den Fluren schlafen. Ich kenne Personen, die sich tagelang auf dem Flughafen Sarajewo herumtreiben mußten, weil man sie nicht unterbringen konnte.

Gibt es in Bremen überhaupt Bosnier, die jetzt und gerne zurückmöchten?

Ja! Alle Flüchtlinge, die ich kenne, sagen, sie wollen wieder zurück in die Heimat – irgendwann. Die sagen, Bremen ist nicht unsere Heimat. Zur Zeit kommen monatlich 1.000 Flüchtlinge in und um Tuzla an. Das heißt, es kehren viele Leute freiwillig zurück. Vor allem Leute, die jetzt bei Verwandten unterkommen können. Die kriegen zwar keine Arbeit. Das nehmen sie aber in Kauf. Ich kenne zum Beispiel aus Bremen eine Ärztin, die als eine der ersten zurückgekehrt ist. Die hat jetzt sogar Arbeit gefunden.

Welche Empfehlung würden Sie denn an die Bremer Regierung aussprechen?

Auf der nächsten Innenministerkonferenz muß der Beschluß fallen, alle Wiederaufbauprogramme, die in Bosnien laufen, massiv zu puschen. Wenn das richtig massiv läuft, also etwa Siedlungen gebaut werden, zerstörte Häuser wieder aufgebaut werden, dann kann man die Leute auch wieder in ihre Heimat schicken. Und das ist exakt jetzt der richtige Zeitpunkt. Der Winter geht zu Ende. Es kann jetzt mit Bauprogrammen angefangen werden. Man müßte jetzt von deutscher Seite versuchen, an die ganzen EU-Mittel für die Programme zu kommen. Man müßte zusätzlich die Nicht-Regierungs-Organisationen unterstützen. Für die ist es ja wahnsinnig schwer, an die EU-Mittel heranzukommen.

Um aufzubauen, braucht man Menschen. Machen da die Rückführungen nicht Sinn?

Nein! Menschen gibt es da jetzt schon unendlich viele. In Bosnien herrscht 80 Prozent Arbeitslosigkeit. Menschen haben die zur Zeit wahrlich genug. Dieses Argument der Rückführungs-Befürworter ist absoluter Quatsch.

Soll man die Rückführungen zunächst aussetzen?

Ja! Aber wie gesagt, man darf auf keinen Fall die Wiederaufbauprogramme vernachlässigen. Sonst kann man niemals die Menschen, die ja zurückwollen, in ihre Heimat zurückschicken. Ganz wichtig sind auch die Minenräumaktionen. Das Problem ist ja, daß da noch unendlich viele tausend Minen herumliegen und deswegen dort gar nicht gebaut werden kann.

Bis wann sollte man die Rückführungen aussetzen?

Mein Anliegen an die Bremer Regierung wäre ein ähnlicher Kurs wie in Nordrhein-Westfalen. Dort sind die Rückführungen jetzt erst einmal bis September ausgesetzt worden. Als Ursache vermute ich, daß einige Politiker von dort auch mal das bosnische Hinterland und nicht immer nur die schön ausstaffierten Touristen- und Pressehotels besucht haben. Die haben also gesehen, wie es auf den Dörfern aussieht. Das macht Sinn und ist verantwortungsbewußte Politik. Ich würde mir sehr wünschen, daß auch unser Innensenator Ralf Borttscheller mal in so ein Dorf fahren würde.

Fragen: Jens Tittmann