Fußgänger wollen höheres Niveau

Der Fußgängerschutzverein will gemeinsam mit den Radlern gegen die mächtige Autolobby vorgehen  ■ Von Ruth Bäumler

Fußgänger fühlen sich zu recht als schwächste Verkehrsteilnehmer, legen aber zuweilen die Verkehrsregeln genauso großzügig aus wie Radler. Sie schimpfen lieber über „leibhaftigere“ Radfahrer als über Autofahrer und -parker in ihren anonymen Blechkisten. Fußgänger fühlen sich zunehmend bedroht durch Radfahrer auf Gehwegen. Sollen die denn auf die gefährliche Fahrbahn ausweichen?

Das ist alles viel zu verallgemeinernd? Daß zahlreiche Konflikte zwischen Fußgängern und Radfahrern bestehen, läßt sich nicht unter den Teppich kehren. Aber beiden wäre besser damit gedient, wenn sie sich als gleichberechtigte Teile des Umweltverbunds respektieren und behaupten würden. Statt sich auf einen „Nebenkriegsschauplatz“ drängen zu lassen, sollten sie gemeinsam, als Opfer einer insgesamt verfehlten Verkehrspolitik gegen das Hauptübel, die Privilegierung des Autoverkehrs angehen. Der Anteil der Fußgänger- Radfahrer-Unfälle am Gesamtunfallgeschehen beträgt nur ein Prozent. Neun von zehn verunglückten Fußgängern sind Opfer des Autoverkehrs.

Aber es gibt sie, die Konflikte und Zusammenstöße – auch mit Verletzten und Schwerverletzten. Konfliktpunkte entstehen verschärft jeweils dort, wo die Planung Fußgänger und Radler zusammengedrängt hat, um dem Autoverkehr Platz und Vorfahrt einzuräumen, zum Beispiel auf den Gehwegen. Oder sie kommen sich in den letzten „Schutzreservaten“, den Fußgängerzonen und Grünanlagen in die Quere. Daß für die einzelnen Problembereiche Regelungen zur Vermeidung von Konfliktsituationen gefunden werden, kann dem Verhältnis zwischen den beiden nicht motorisierten Verkehrsteilnehmergruppen nur gut tun. So hält der Fußgängerschutzverein FUSS e. V. in Grünanlagen und Parks ein getrenntes Netz von Radwegen für sinnvoll, das Bestandteil der Radnetzplanung sein sollte. Spazierwege unterhalb einer bestimmten Breite von rund vier Metern sollten für Fahrradfahrer tabu bleiben. Beispiel für eine gute Regelung ist der Große Tiergarten. Auch für Fußgängerzonen wird möglichst eine eigene Linienführung vorgeschlagen. Je nach örtlichen Gegebenheiten und Fußgängerdichte und auch abhängig von der Tageszeit kann rücksichtsvolles Radfahren geduldet werden.

Der Gehweg muß zur Tabuzone werden

Der Gehweg muß wieder Tabuzone für alles Fahrende und Parkende werden, um einen unbeschwerten Aufenthalt zu gewährleisten: ohne ständige Wachsamkeit und Angst um kleine Kinder. In dem Zusammenhang sind auch die auf Gehwegen angelegten Radwege strikt abzulehnen. Genügend Beispiele von auf wenigen Metern zusammengepferchten Geh- und Radwegen in Berlin und anderswo belegen die Unzumutbarkeit. Es herrscht auch Einigkeit zwischen FUSS e. V. und Radfahrorganisationen wie „Grüne Radler“ und ADFC, daß das Rad als fahrendes Verkehrsmittel auf die Straße gehört. Dort ist es zudem sicherer, als das Fahren auf hinter dem Parkstreifen „versteckten“ Radwegen, die an jeder Kreuzung und Einmündung zu einem überraschenden Auftauchen des Radlers für den Autofahrer führen. Dies belegt schon eine Untersuchung der Polizei von 1986. Würden außerdem die Geschwindigkeiten von Auto und Rad durch eine generelle Tempo-30-Regelung innerorts, die auch der Deutsche Städtetag längst fordert, angeglichen, könnte eine Steigerung der Verkehrssicherheit und städtischen Lebensqualität erreicht werden.

So wie der Radfahrer als stärkerer Verkehrsteilnehmer Rücksicht auf den schwächeren Fußgänger nehmen sollte, so wäre insgesamt eine Umkehrung des Planungsprinzips im Verkehr vonnöten. Nur der Autoverkehr hat bislang ein durchgehendes Netz von Wegen, die von allen anderen Verkehrsteilnehmern überquert werden müssen. Der Fahrradverkehr hat in Ansätzen ein Netz, welches vom Autoverkehr unterbrochen wird. Der Fußgänger kann, ohne das Netz der anderen – zumeist unter Gefahren – zu überqueren, nur einmal rund um den eigenen Häuserblock laufen. Eine ökologische und auf Unfallvermeidung setztende Verkehrspolitik dreht das Prinzip um: Fußgänger bekommen ein durchgängiges Netz, das Fahrradnetz folgt in der Rangfolge und wird von den Gehwegen unterbrochen. Das Straßennetz wird an den Querungsstellen vom Fuß- und Radnetz unterbrochen. Rein praktisch würde dies bedeuten, daß sich der Fußgänger immer auf einem Niveau bewegt, der Rad- und Autoverkehr die hochgepflasterten Gehwege überqueren müßte, was nur mit einer deutlichen Geschwindigkeitsreduzierung möglich ist. Eine Utopie? Eine erstrebenswerte Möglichkeit!

Die Autorin ist Mitglied in der Landesgruppe des Fußgängerschutzvereins FUSS e. V.; Treffen jeden 1. und 3. Montag im Monat, 17 Uhr, Exerzierstraße 20, Berlin-Wedding