Zeitweilige Komplizenschaft

Für ihren Film „Jenseits des Krieges“ hat Ruth Beckermann Besucher der Wehrmachtsausstellung interviewt: Eine Feldstudie zum Thema persönliche Verdrängung  ■ Von Gudrun Holz

Seit die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ im Februar diesen Jahres in München gezeigt wurde, hat sie nicht nur christdemokratische Hinterwäldler und Neonazis auf den Plan gerufen. Bis zum Debattengegenstand im Bundestag brachte es die Dokumentation des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Kurz nach der Eröffnung der Ausstellung in der Hamburger Kampnagelfabrik, vor zwei Jahren, startete die Wiener Filmemacherin Ruth Beckerman ihr Projekt „Jenseits des Krieges“ – eine zweistündige Interview-Recherche zur Ausstellung, kompiliert aus insgesamt 46 Stunden Interviews mit Ausstellungsbesuchern. Nach der Vorführung im Forum der Berlinale ist der Film nun im fsk-Kino zu sehen.

Als die Ausstellung im Herbst 1995 in Wien gastierte, installierte sich Ruth Beckermann mit dem Kameramann Peter Roehsler in den weißgekachelten Ausstellungsräumen, die Fotos der Kriegsverbrechen an der Ostfront stets im Blick. „Kein Zufall, daß ich noch nie während eines Drehs solche Alpträume hatte: Fünf Wochen lang täglich an diesen Ort fahren, in diese Atmosphäre, das war nicht leicht zu ertragen.“

Der Film selbst ist dagegen um Distanz bemüht, kaum hört man die Interviewfragen. Alles Gewicht liegt auf den häufig selbstentlarvenden Aussagen der Besucher. Im Ausgangsmaterial von ursprünglich über zweihundert Gesprächen geht es weniger um die Debatten der Nachgeborenen. Die Filmemacherin spricht gezielt die alten Männer – sogenannte „Kriegsteilnehmer“ – an, die hier wie Nachtwächter ihrer eigenen Geschichte um die Ausstellungswände streichen.

Trotzdem bleibt das zwiespältige Verfahren, die ehemaligen Frontsoldaten mit vorsichtigen Fragen auf den Leim zu führen, also eine zeitweilige „Komplizenschaft“ einzugehen, sichtbar. Sich plötzlich als Zeitzeugen gerierend, gingen einige Interviewpartner sogar so weit, die Crew zu sich nach Hause einzuladen – womöglich, um hier eigene „Erinnerungsfotos“ vorzukramen.

Die Gespräche belegen, wie „anziehend“ es für die meisten Besucher offenbar war, „dort hinzugehen, daß dieser Reiz des Verbotenen erhalten geblieben ist, wie in einer Peep-Show. Mit diesem Kitzel, einer Art erotischen Anziehungskraft, zu schauen: Bin ich da wo drauf, oder kenne ich da wen?“, so Ruth Beckermann.

Die Dokumente sind lediglich die Kulisse für eine Feldstudie zum Thema persönlicher und institutioneller Verdrängung. Der Angriffskrieg der Wehrmacht wird wiederholt von den Gesprächspartnern als „Präventivkrieg“ euphemisiert, der „Anschluß“ Österreichs dagegen schamhaft verschwiegen oder gar noch nachträglich gerechtfertigt. Mit einem grimassenhaften Lächeln, versteht sich, und der Bemerkung: „Ich war ja immer im Graben, gell, von alldem hier hab' ich nix gesehn.“

Sie habe bewußt Mitläufer und Kleinkarrieristen zeigen wollen, Individuen, die bis heute am Bild der sauberen Wehrmacht festhielten. Wie aber gerade die nationalsozialistische Kriegführung auf der Bereitschaft fußte, Verbrechen hinzunehmen – wo schon nicht selbst auszuführen –, zeigen die repräsentativ zusammengestellten Aussagen aufs deutlichste.

„Ich bin ein Opfer des Krieges“, schwadroniert ein Lodenträger, ein anderer pflichtet ihm als Berufsoffizier in dritter Generation bei: „Kriege sind halt immer schrecklich.“

Gleichzeitig liefert der Film auch ein Bild von den Grundfesten der österreichischen Zweiten Republik, etwa wenn ein Überlebender der Deportation von seinen Auseinandersetzungen mit der österreichischen Nachkriegsverwaltung berichtet. Den stärksten Eindruck hinterläßt allerdings die Schlußeinstellung des Films, in der zwei Altersgenossen das gemeinsame Gespräch probieren. Der eine Stammtischplatitüden auftischend und darauf beharrend, „daß es sooo ja nicht gewesen“ sei. Der andere schließlich spricht resigniert den Schlußsatz. „Ich weiß gar nicht, wohin ich mich noch schämen soll ...“

„Jenseits des Krieges“ von Ruth Beckermann ab heute im fsk am Oranienplatz, Segitzdamm 2, Kreuzberg