Und drohend naht der grausame Frühling

■ Alle träumen von Sonnenschein und Frühlingsgefühlen, aber keiner denkt an die vielen Allergiker, die drohenden Frühlingsdepressionen, den Diätenterror und den Frühjahrsputz

Frühling – ein Zauberwort, bei dem zunächst jeder nur an Schönes denkt: An Sonnenschein etwa oder an Blütenprachten. Oder daran, sich zu paaren oder andere angenehme Dinge, die man zu zweit machen kann. Doch ich behaupte: Der Frühling ist eine Mogelpackung.

Frühling heißt nämlich auch, daß man sich wieder an das Geschrei lärmender Kinder im Hof gewöhnen muß und daran, daß der Hund ständig vor die Tür will. Der erste Sonnenstrahl verpflichtet direkt zum Frühjahrsputz, und wenn man sich nach langem Sichwinden endlich dazu durchgerungen hat, sein Fahrrad wieder flottzumachen, dann muß man zu allem Überfluß feststellen, daß es einer im Laufe des Winters aus dem Keller geklaut hat. Am liebsten würde man sich vielleicht einfach in den nächsten Flieger setzen, zum Beispiel nach New York. Doch dann sagen sie einem, daß zum 31. März die Flugpreise drastisch angestiegen sind. Das Allerschlimmste ist allerdings, daß der Frühling Hoffnungen und Erwartungen weckt, am Ende aber mit einer ganzen Reihe von Enttäuschungen aufwartet.

Allein das Wetter. Jetzt ist schon seit einer Woche Frühling, und immer noch ist alles grau und griepelig. Hast du dich durch ein paar Minuten Sonnenschein zu leichter Kleidung hinreißen lassen, kommt todsicher im nächsten Moment ein Schneesturm. Fährst du aber in den Skiurlaub, gibt es unter Garantie die große Schneeschmelze. Und bei uns Daheimgebliebenen? Von Osterglocken, Krokussen und Tulpen noch immer keine Spur.

„In grauer Urzeit“, erklärt der Psychologe Dr. Bikadorov, zum Thema Frühlingsdepressionen befragt, „als wir noch Tiere waren, da lagen wir vom Herbst bis zum Frühjahr im Winterschlaf!“ Doch heutzutage – das sei ja das Problem – „da sprießt für den Menschen im Frühling eigentlich nichts mehr“. Die Leute haben Zukunftsängste, Angst vor Arbeitslosigkeit und Entlassungen. Doch die Hauptsaison für Selbstmorde – so weiß der Psychologe immerhin zu trösten – sei nach neuesten Erkenntnissen nicht mehr das Frühjahr, sondern die Sommermonate. Denn ein Suizid setze ein hohes Maß an Aktivität voraus, und die habe man in den Wintermonaten und zum Frühjahrsbeginn noch nicht. Haben wir es also der Frühjahrsmüdigkeit zu verdanken, daß wir uns noch nicht umgebracht haben?

Der Frühling ist ohnehin die Zeit, in der man sich seiner körperlichen Unzulänglichkeiten schmerzhaft bewußt wird: tränende Augen, Nasenlaufen, Nieszwang und Asthma – am meisten leiden derzeit wahrscheinlich die Allergiker, für die der Pollenflugvorhersage schon längst wieder zur alltäglichen Lektüre geworden ist. „Schon nach den ersten beiden milden Tagen im Februar klingelte bei uns das Telefon Sturm“, erzählt Dr. Doris Staab von der Lungenklinik Heckeshorn. „Das war die Haselnuß. Als nächstes kommt die Birke.“ Auch danach gibt es keine Erlösung, denn nach den Bäumen geht die Pollenzeit nahtlos über in die Zeit der Gräser. Der Frühling ist für Pollenallergiker vor allem die große Saison der Hyposensibilisierungspritzen, was bislang immer noch die einzige Therapie ist, die eine bis zu 90prozentige Linderung verschaffen kann.

Auch sonst ist mit dem post- winterlichen Körper nicht viel los: Bei der Anprobe von Badeanzug und anderer sommerlicher Garderobe erstarrt man geradezu vor Schreck über den bleichen Schwabber, der einem da aus dem Spiegel entgegenblitzt. Und pünktlich zu diesem alljährlichen Desaster kommen die Frauengazetten daher und streuen mit ihren Schlagzeilen Salz in die offenen Wunden. Es ist doch jedes Jahr das gleiche. Die eine bläst energisch zum „Kampf der Cellulite – das Sofortprogramm“. Eine andere predigt Fitneßtips, „damit der Bauch zum Busen wird“. Doch das ist noch gar nichts gegen die Versprechungen eines Hausfrauenblättchens: „Genuß und Abenteuer mit der Brot-Diät!“ Was denken die wohl, was sie mit uns machen können? Das will man besser gar nicht erst glauben. Gott sei Dank gibt es ja noch die Monatszeitschriften für die emanzipierte und berufstätige Frau, die über die „Light-Lüge“ aufklären und vor allem darüber, „warum Diäten nicht helfen und auch das Fitneßstudio nichts bringt“. Sollte man also doch seinen Busen einfach Bauch sein lassen und beim nächsten Sonnenstrahl zu einem frisch gezapften Pils in einen der schönen Biergärten unserer Stadt laufen? Vorausgesetzt, man kriegt da überhaupt ein Bein an die Erde. Kirsten Niemann

Pollen- und Allergie-Hotline: 450 66 417, besetzt von Mo.: 12–17 Uhr, Di., Mi., Do. 10–15 Uhr.