: „Abschied von der Volkskirche“
■ Reinhard Dierks (36 Jahre), Pastor in der Gemeinde St. Petri im Hamburger Stadtteil Altona, über die Zukunft der christlichen Kirche
taz: Zu Ostern wird in Ihrer Gemeinde vier Tage fast rund um die Uhr gefeiert. Dieses Jahr wirkt es wie eine Halleluja-Performance. Haben Sie das beabsichtigt?
Reinhard Dierks: In unserer Gemeinde wollten wir dieses Jahr das Osterfest besonders sorgfältig vorbereiten. Meinetwegen nennen Sie es Mut zur Inszenierung.
Viele Christen beklagen, daß gewöhnliche Gottesdienste zu dröge sind. Sollte die Kirche nicht jede Woche Feste feiern?
Nein. Religiöse Feiern sind an Inhalte gebunden. Aus allem eine Show zu machen, wäre langweilig und hieße, nicht mehr das Besondere wahrnehmen zu können.
Was nichts daran ändert, daß die Kirchen meist leer bleiben.
Aber durch Spektakel würden wir sie nicht füllen können.
TV-Pastor Fliege meint, die Kirche erreiche die Menschen nicht mehr, weil Pastoren mit Verwaltungsarbeit zugeschaufelt werden.
Hier hat er recht. Heute erwarten die Menschen von uns weniger Sozialarbeit, eher die deutliche Auskunft über biblische Inhalte.
Soll sich die Kirche aus der Sozialarbeit zurückziehen?
Das wäre zu überlegen. Der Staat kann eine Sozialstation übernehmen, er hätte dafür das Geld. Das muß die Kirche dem Staat nicht abnehmen.
Und was bliebe ihr noch?
Die Verkündigung, von Gott zu erzählen, von einer Verheißung, die sich mit dieser Welt nicht deckt.
Zöge sich die Kirche aus der Sozialarbeit zurück, würde der Staat diese Aufgaben nicht übernehmen.
Realistisch gesehen fehlt uns als Kirche inzwischen die Kraft, überall dort zu helfen, wo Not ist.
Bedeutet das Distanz zu den Mühseligen und Beladenen?
Nein, eher einen Abschied von der Volkskirche. Sie steht ja eh nur noch auf dem Papier. Ich finde, wir sollten viel mehr Gewicht auf die spirituelle Arbeit legen.
Ein Weg in die Innerlichkeit?
In den dreißiger Jahren, während des Kirchenkampfes zwischen der Bekennenden und der Deutschen Kirche, hatten die spirituell arbeitenden Gemeinden größere Widerstandskraft gegen den Nationalsozialismus.
Also kein Rückzug aus der politischen Einmischung?
Im Gegenteil. Die Welt Jesus Christus' der Wirklichkeit entgegenzustellen, scheint mir politischer als die beste Sozialarbeit. Interview: Jan Feddersen
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