Fünf Minuten Ruhm oder fünf Monate Horror

■ Was den Geschworenen des Oklahoma-City-Prozesses in den nächsten Monaten widerfahren könnte – und warum vierzig Dollar Entschädigung nicht ausreichen

Richter Anura Corey war alles andere als entzückt. 17 Verhandlungstage hatte er im Betrugsverfahren gegen fünf Angeklagte gut über die Runden gebracht. Jetzt machten zwei der Geschworenen die Arbeit zunichte: Bonnie Schott und Carol Barclay weigerten sich, über Schuld oder Unschuld zu befinden, weil sie durch die vorgebrachten Indizien und Plädoyers einfach zu verwirrt seien. Was für die einen den Tatbestand der Konfusion erfüllte, stellte für Richter Corey Mißachtung des Gerichts dar. Am Dienstag verurteilte er die beiden Frauen zu 30 Tagen Haft.

Diese Begebenheit aus dem britischen Rechtswesen dürfte sich auch nach Denver herumgesprochen haben, wo ab Montag zwölf Geschworene aus einem Pool von mehreren hundert Kandidaten ausgewählt werden, um im Prozeß gegen den mutmaßlichen Bombenattentäter von Oklahoma City, Timothy McVeigh, über Schuld und Unschuld zu entscheiden.

Jury-Pflicht ist Bürgerpflicht. Und sich im Zeitalter von DNA- Analysen und Anklageschriften in Romanstärke wegen Verwirrtheit aus der Verantwortung zu stehlen, wird auch in den USA als mangelnder Respekt vor der Rechtssprechung gewertet – mit juristischen Folgen.

Das Geschworenensystem wurde einst im mittelalterlichen England als Alternative zum Inquisitionsprozeß eingeführt. Solche historischen Details dürften den auserwählten Kandidaten in Denver herzlich egal sein. Die haben andere Probleme: Die Zahnärztin muß sich um eine Vertretung für ihre Praxis kümmern; der Lehrer die Schulleitung auf monatelangen Unterrichtsausfall vorbereiten; der Taxifahrer seinen Verdienstausfall kalkulieren. Vater Staat lobt in seiner schriftlichen Aufforderung zum Dienst auf der Geschworenenbank zwar die Kooperationsbereitschaft seiner BürgerInnen, er honoriert sie aber nur mit 40 Dollar pro Sitzungstag. Dauert das Verfahren über einen Monat, wird auf 50 Dollar erhöht. Wohl kaum eine Entschädigung für die Strapazen. Schon gar nicht, wenn sich Geschworene wie in Mafia-Prozessen mit Erpressungen und Drohungen durch Hintermänner der Angeklagten konfrontiert sehen.

So mag man es Juroren kaum verübeln, wenn sie aus ihrer Strapaze Geld oder fünf Minuten Ruhm schlagen wollen. Beste Chancen hatten da die Geschworenen im Prozeß gegen O.J. Simpson. Eine räkelte sich vor Playboy- Kameras, andere gastierten in Talk-Shows oder verkauften ihre Geschichte an Buchverlage. Über das Innenleben einer Jury wußten sie allerhand zu erzählen. Sie waren auf Anordnung des Richters für die Dauer des Verfahrens in einem Hotel isoliert, von jeder Berichterstattung über den Prozeß abgeschottet. Selbst bei Familienbesuchen war das Thema Simpson tabu. Daß die zwölf Juroren nach 266 Tagen Kasernierung, nach über 130 Zeugenvernehmungen und einem Crashkurs in Genetik in Windeseile zu einem Urteil kamen, kommentierte ein Geschworener mit den Worten: „Wir wollten einfach raus.“

Was die juristischen Laien vom Fachchinesisch der forensischen Experten in Strafprozessen begreifen, kann man nur vermuten. Im Fall des Todestraktinsassen Joseph O'Dell, der vor elf Jahren wegen Mordes verurteilt wurde, räumte nun eine Geschworene ein, daß sie damals ihren verwirrten Mitjuroren erklärte, bei den belastenden Blutanalysen handele es sich um Quasi-DNA-Tests. Die Analysen erwiesen sich später als fehlerhaft. Die Frau war Krankenschwester, die anderen hatten auf ihren „Sachverstand“ vertraut.

Der Sachverstand wird deshalb weder bei Staatsanwälten noch bei Verteidigern besonders hoch geschätzt. Strafprozesse sind vor allem bei Tötungsdelikten emotionale Veranstaltungen, bei denen vor allem eine Strategie im Vordergrund steht: die Gefühle, Vorurteile und die psychologische Eigendynamik einer zusammengewürfelten Gruppe auszunutzen. Andrea Böhm, Berlin