Zwei Jahre nach dem schwersten Terroranschlag in der Geschichte der Vereinigten Staaten: Der Prozeß gegen den Angeklagten Timothy McVeigh wird am Ostermontag mit der Auswahl der Jury eröffnet. Die Vorwürfe der Staatsanwälte sind plausibel,

Zwei Jahre nach dem schwersten Terroranschlag in der Geschichte der Vereinigten Staaten: Der Prozeß gegen den Angeklagten Timothy McVeigh wird am Ostermontag mit der Auswahl der Jury eröffnet. Die Vorwürfe der Staatsanwälte sind plausibel, nach möglichen Mittätern wurde bisher aber erfolglos gefahndet.

Kein Geständnis, nur Indizien

Die Sache scheint sonnenklar: Zu viele Indizien deuten auf die Schuld des „netten Jungen von nebenan“. Da sind die Sprengstoffspuren auf seinen Kleidern und seinem Messer; die Quittung für den Ankauf von Bombenzutaten mit seinen Fingerabdrücken; die erwiesenen Kontakte zur rechtsradikalen Szene, seine Vorliebe für Verschwörungsromane, in denen Gebäude der Bundesregierung in die Luft gejagt werden; sein Lieblingszitat, das er sich ausgerechnet bei Thomas Jefferson geholt hat: „Die Pflanze der Freiheit muß von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen begossen werden.“

Daß Timothy McVeigh, 28jähriger Exsoldat und Waffennarr, am 19. April 1995 diese „Tyrannen“ in Gestalt von Angestellten der Bundesbehörden in einem Bürogebäude in Oklahoma City wähnte und um 9:02 Uhr eine 5.000-Pfund- Bombe aus Ammoniumnitrat und Benzin hochgehen ließ, steht für die Staatsanwälte außer Frage. 168 Menschen starben in den Trümmern, darunter 19 Kinder, die von ihren Eltern gerade im Kindergarten des Alfred- P.-Murrah-Gebäude abgegeben worden waren.

Fast zwei Jahre nach dem schlimmsten Attentat in der US- Geschichte beginnt am Montag der Prozeß gegen McVeigh vor einem Bundesgericht in Denver im Bundesstaat Colorado. Auftakt ist die Auswahl der Geschworenen.

Nach Colorado war das Verfahren verlegt worden, weil in Oklahoma City nach Ansicht der Verteidiger keine unvoreingenommene Jury gefunden werden kann. Ob Staatsanwalt Joseph Hartzler die Geschworenen tatsächlich so einfach von der „über jeden berechtigten Zweifel erhabenen“ Schuld des Angeklagten überzeugen kann, ist nicht ganz so sonnenklar.

Tausende von Ermittlern haben haben fast 26.000 Zeugen vernommen und 160.000 Aktenblätter zusammengetragen. Doch wieder einmal muß sich die Polizei – in diesem Fall das FBI – Schlamperei bei Labortests vorwerfen lassen. Nach wie vor ist nicht geklärt, wo jener zweite Mann abgeblieben ist, dessen Phantombild den Namen „John Doe 2“ trägt. Der Unbekannte soll laut Zeugenaussagen zusammen mit McVeigh kurz vor dem Anschlag den Kleinlaster angemietet haben, der mitsamt der Bombe vor dem Murrah-Gebäude geparkt wurde. Fest steht dagegen, daß es sich nicht um McVeighs Mitangeklagten Terry Nichols handelt, der in einem abgetrennten Verfahren beschuldigt wird, das Attentat mit vorbereitet, aber nicht durchgeführt zu haben.

In der Presse und im Internet kursieren zudem verwirrende Gerüchte über McVeighs Verbindungen nach Elohim City. In dieser Hochburg militanter rechtsradikaler Fundamentalisten im Bundesstaat Oklahoma soll McVeigh Kontakte zu einer „Arischen Republikanischen Armee“ sowie dem ehemaligen Bundeswehrsoldaten Andreas Strassmeir geknüpft haben.

An der erdrückenden Indizienlast gegen McVeigh ändern diese Ungereimtheiten nichts. Doch sie bieten dem Team von 14 Verteidigern unter Leitung von Stephen Jones die Chance, jene „berechtigten Zweifel“ in den Köpfen der Geschworenen zu säen, die einen Schuldspruch unmöglich machen. Jones streut schon seit Monaten eigene Vermutungen über mögliche Tathintergründe – angefangen von rechten Verschwörungstheorien bis zur Verwicklung des irakischen Geheimdienstes.

Erstere wurde unlängst noch gefüttert durch die Aussage des ehemaligen Polizeiinformanten Cary Gagan. Er will den Behörden mehrere Wochen vor dem Anschlag Hinweise auf terroristische Gruppen gegeben haben, die ein solches Attentat planten. Das paßt nun ganz ins Weltbild jener selbsterklärten Staatsgegner, die den Anschlag von Oklahoma City für eine Inszenierung der Bundesregierung in Washington halten.

Der von der Verteidigung mitangefachte Pressewirbel im Vorfeld des Prozesses hat durchaus einen strategischen Sinn. Selbst die Meldung einer texanischen Zeitung, McVeigh habe die Tat gegenüber seinen Verteidigern gestanden, nahm der Anwalt mit Genugtuung zur Kenntnis: Je mehr Publicity entsteht, desto vehementer argumentiert Jones für eine Verlegung und Verschiebung des Prozesses, da derzeit nur noch „in Alaska und Hawai“ eine unvoreingenommene Jury gefunden werden könne.

Für die Clinton-Administration steht politisch viel auf dem Spiel in diesem „Jahrhundertprozeß“, hatten doch der Präsident und seine Justizministerin Janet Reno kurz nach dem Attentat gelobt, die Täter zu fassen, sie zu überführen und zum Tode verurteilen zu lassen. Sollte es zu einer „hung jury“, bei der sich nicht alle zwölf Geschworenen auf einen Schuldspruch einigen können, oder gar zu einem Freispruch kommen, würde dies als gewaltiger Rückschlag für den vielbeschworenen Kampf gegen rechtsextremen Terrorismus angesehen.

Das Attentat hatte in den USA seinerzeit einen massiven Schock ausgelöst. Terroristen hatten im Kernland der Vereinigten Staaten zugeschlagen. Der reflexartige Verdacht gegen Täter aus dem Nahen Osten mußte schnell zurückgenommen werden, nachdem alles darauf hindeutete: Amerikaner hatten eine Bombe gegen Amerikaner gezündet. Alles deutete darauf hin, daß die Täter aus Kreisen rechtsradikaler Milizen stammen, die von Politik und Polizei bislang eher als Ansammlung verschrobener Waffenfetischisten denn als terroristische Bedrohung behandelt worden waren. Bezeichenderweise waren es private Organisationen wie das Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles und das Southern Poverty Law Center im Bundesstaat Alabama, die den Behörden aus ihren Archiven reichlich Material über die neue Militanz in der vielfältigen rechten US- Szene liefern konnten. Das Southern Poverty Law Center hatte im Vorfeld des Attentats immer wieder vor rechten Terroranschlägen gewarnt, auch und gerade an Gedenk-und Jahrestagen der rechten Szene.

Am 15. April 1995 jährte sich zum zweitenmal der FBI-Einsatz gegen die Mitglieder einer militärisch hochgerüsteten rechten Sekte im texanischen Waco, in dessen Verlauf das Gebäude der Gruppe in Brand geriet und über 70 Mitglieder in den Flammen umkamen. Waco ist seitdem Wallfahrtsort für die Bürgermilizionäre, Neonazis, Waffennarren und selbsterklärte Krieger gegen die Bundesregierung. Für Timothy McVeigh war Waco nach Aussagen von Zeugen ein Fanal, das seinen Haß auf die Regierung noch bestärkte.

Daß der Prozeß gegen McVeigh die Öffentlichkeit ähnlich intensiv beschäftigt wie das Verfahren gegen O.J. Simpson, darf bezweifelt werden. Das liegt nicht zuletzt an dem Umstand, daß der Prozeß von Denver nicht im Fernsehen übertragen wird. Allein die über 500 Überlebenden des Anschlags und Angehörigen der Toten haben durchgesetzt, daß sie in Sälen in Denver und Oklahoma City den Prozeß per Videoübertragung verfolgen können. Dort müssen sie den Horror des 15. April 1995 noch einmal durchleben. Und für sie kann es am Ende der Verhandlung nur heißen: „schuldig“. Andrea Böhm, Berlin

Andreas Rostek, Washington