Schoko-Pops und Online-Pizza

■ Cracker, Composer und andere Computerfreaks trafen sich zur „SILIconvention '97“und ernährten sich ungesund

Die dringlichste Weisung der „SILIconvention '97“, die am vergangenen Wochenende etliche Computerfreaks aus aller Herren Länder in das Gemeinschaftszentrum Obervieland lockte, lautete: „Bitte Schlafsack und Mehrfachsteckdosen mitbringen!“. Worauf dabei die Priorität lag, war klar: „Naja, viel geschlafen wird hier eigentlich nicht“, sagt Tino Gietschel, 21 Jahre alt und Organisator des Treffens. Denn die Gäste aus Deutschland, England, Schweden, Dänemark, Holland, Polen und Österreich waren gekommen, um zwei Stockwerke mit Monitorflimmern, Tastaturklappern, Gebläsesummen und mehrsprachiger Fachsimpelei zu füllen. Vor Ort wollten sie an ihren selbst mitgebrachten Rechnern Kunst schaffen, die noch während der Convention zur Vorführung kommen sollte.

Es war ein Treffen der sogenannten Demo-Szene, die wiederum vor zehn bis zwölf Jahren aus der Cracker-Szene hervorgegangen ist. Hatten emsige Amateurtüftler den Code eines Computerspieles gecrackt oder schlicht geknackt, um eine eigene Version auf dem Schwarzmarkt feilzubieten oder auch nur vor den Kumpels zu prahlen, versahen sie diese Spiele mit eigenen Signaturen in Form von musikalisch unterlegten Animationen. Diese waren oft attraktiver als die Spiele selbst, so daß um die Demos ein eigener Kult entstand. Auf der SILIconvention wurden die Bemühungen von Codern (Programmierern), Paintern und Composern mit Preisen in 21 Kategorien von herausragenden Einzelleistungen bis zum absichtlich schlechtesten Demo prämiert. Obwohl auch moderne Pentium-Prozessoren zum Glühen gebracht wurden, schlug das Herz der Eingeweihtesten für vermeintlich überholte Modelle wie den Commodore 64, Atari oder Amiga. Tino Gietschel weiß, warum: „Der Reiz liegt darin, aus den alten Computern das beste herauszuholen. Da muß jeder Pixel mit der Maus gesetzt werden.“

Wer so aufwendig arbeitet, kann sich nicht aufwendig ernähren. Wo die Hardware auf den Tischen noch Platz ließ, türmten sich Pizza-Boxen, Kelloggs Schoko-Pops-Packungen und Cola-Plastikflaschen. Bockwurst mit Senf/Ketchup-Alternative konnte an der Kasse erstanden werden, Pizza wurde dort bestellt. Selbstverständlich nicht vorsintflutlich per Telefon, sondern über Online-Dialog mit Zutaten zum Anklicken.

Das Gesamtbild der Kreativen mochte nur in einer Hinsicht dem Klischeebild des Bits- und Bytes-Begeisterten entsprechen: Es handelte sich fast ausschließlich um Männer. Diese Männer zwischen 16 und 30 entsprachen selten den Typen blasser Mathestreber oder fescher Cyberpunk. Leibesfülle und Haarlänge kamen in allen Variationen, kleidungstechnisch mochte kaum jemand auffallen. Wurde gerade nicht gecodet, gepaintet oder compost, entspannte man sich bei Videofilmen, Konsolenspielen und Internet-Stöbern. Die Gelegenheit hatte der Spiele-Grossist „Media-Point“beim Schopfe gepackt und einen Raum mit Playstations eingerichtet, an denen man als graziler weiblicher „Tomb Raider“Jagd auf Raubtiere, blutrünstige Fledermäuse und wertvolle Artefakte machen konnte. Das Angebot wurde so begeistert angenommen, daß es zu mehreren Stromausfällen kam. Ein junger Verschwörungstheoretiker witterte Methode: „Immer, wenn es am spannendsten wird.“

Auch ein Bremer Internet-Café ließ sich nicht lumpen und stellte seine Rechner zur Verfügung. Klar, daß da über etliche Bildschirme Schlüpfriges flimmerte. In den Demo-Arbeiten war Pornographie derweil verboten. Jungs-Fantasien dominierten dennoch: Immer wieder muskulöse Barbaren und üppig bestückte Amazonen. Aber es ging auch abstrakter mit kunstvoll tanzenden Zahlen und Texten, verzweigten Mandelbrot-Bäumchen und rotierenden Augäpfeln.

Einen ungeübten Gucker konnte es auf Dauer schon recht meschugge machen, aber was ist das schon gegen ein Dauerfeuer von Techno-Videoclips. Nur daß die Musik meistens besser war. Nostalgische Flipper- und Frogger-Sounds über psychedelischen Klanglandschaften und harten Beats. Da fragte man sich, warum diese Menschen Demos und keine Platten machen.

Andreas Neuenkirchen