■ Die EU hat Mitschuld am Tod der albanischen Flüchtlinge
: Die vermeidbare Tragödie

Unverständlich, daß es nach der Versenkung des albanischen Minenräumers in Italien noch hochrangige Politiker gibt, die die Behinderung von Flüchtlingsschiffen als richtige Maßnahme verteidigen. Daran ändert auch der stete Hinweis der Regierung Prodi auf die Schlepperorganisationen, „die tausend Mark pro Flüchtling verdienen“, nichts.

Genauso unzulässig ist es allerdings, Italien nun die alleinige Schuld zuzuschieben. Die Katastrophe im Kanal von Otranto ist auch ein Ergebnis der Untätigkeit der übrigen europäischen Länder und ihrer Gemeinschaftsinstitutionen. Obgleich seit Januar abzusehen war, wie sich die Dinge in Albanien entwickeln würden, wissen die Europäer bis zum heutigen Tag nicht, was sie wollen. Sicherlich haben auch die heftigen Übertreibungen der Italiener – Ziel: Geld aus Europa für vielleicht auch andere Zwecke als Flüchtlingshilfe lockerzumachen – dazu beigetragen, daß niemand so genau abschätzen kann, wie ernst die Lage wirklich ist. Aber daß man ausgerechnet einem Anrainerland die „Bereinigung“ der Situation überläßt, zeugt von Unfähigkeit und zynischer Gleichgültigkeit gegenüber diesem kleinen Land an der Adria.

Vor allem aber demonstriert die zögerliche Haltung, daß es den Europäern selbst bei kleineren, durchaus bewältigbaren Krisen nicht mehr möglich ist, vernünftige gemeinsame Maßnahmen zu ergreifen. Man überläßt die Sache einfach denen, die, aus welchen Interessen auch immer, etwas tun wollen. Völlig unbegreiflich ist auch, daß die deutsche Regierung sich so strikt heraushält. Offenbar ist Kinkel und Co. nicht einmal klar, was passiert, wenn die mit Hängen und Würgen zusammengetrommelte „militärisch gedeckte Hilfsaktion“ (außer Italienern nehmen Franzosen, Spanier, Portugiesen, Griechen teil) startet. In kürzester Zeit werden Italien und Griechenland aneinandergeraten – schließlich sind sie im Konflikt um Albaniens Nachbarland Makedonien seit Jahren Gegner.

Es rächt sich erneut, daß sich Europa inzwischen ausschließlich auf Fragen der gemeinsamen Währung konzentriert, die zentralen Probleme der gemeinsamen politischen Willensbildung aber ins dritte Jahrtausend verschiebt. Europa tut so, als würde der Euro automatisch für sinnvolle Lösungen bei politischen und gesellschaftlichen Konflikten und möglicherweise nicht mehr beherrschbaren Wanderungsbewegungen sorgen. Werner Raith