Die Opposition nimmt an der algerischen Wahl teil

■ Die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) der Berber will am 5. Juni antreten

Madrid (taz) – Algeriens Wahlkampf kann beginnen. Ende letzter Woche hat die größte legale Oppositionskraft, die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS), ihre Teilnahme an den Parlamentswahlen am 5. Juni beschlossen.

Die Entscheidung fiel nicht leicht. „Die Opposition steckt in einem Dilemma: Ein Wahlboykott führt in die Isolation, eine Beteiligung diskreditiert, was wiederum dem harten Kern der Islamisten nützt“, beschreibt der FFS-Vorsitzende Hocine Ait Ahmed sein Problem. Um trotz Wahlbeteiligung glaubhaft zu bleiben, wird die FFS mit einem Einpunkteprogramm antreten: Um den Bürgerkrieg, der seit fünf Jahren das Land erschüttert, zu beenden, fordert sie von Staatspräsident Liamine Zéroual einen „ernsthaften Dialog“ mit den Islamisten. Der Bürgerkrieg begann, nachdem das Militär im Januar 1992 die ersten freien Parlamentswahlen des Landes abgebrochen hatte, weil beim ersten Wahlgang die Islamische Heilsfront (FIS) die absolute Mehrheit errungen hatte.

Präsident Zéroual kann dem Urnengang gelassen entgegensehen. Eine eigens zurechtgeschusterte Verfassung und ein neues Parteiengesetz sorgen dafür, daß dieses Mal nichts schiefgehen kann. Das Verbot der FIS wurde endgültig festgeschrieben. Eine zweite Kammer, der Nationalrat, mit Vetorecht bei allen Parlamentsentscheidungen, wird Zéroual zu einem Drittel selbst besetzen. Und als wäre dies noch nicht genug, schickt der Präsident noch ein eigenes Pferd ins Rennen: die „National-Demokratische Versammlung“ (RND) – eine extra für Zéroual gegründete Partei.

Das Projekt einer Präsidentenpartei war nach dem tödlichen Attentat auf seinen geistigen Vater, den Vorsitzenden des Gewerkschaftsverbandes UGTA, Abdelhak Ben Hamuda, Ende Januar ins Stocken gekommen. Dann übernahm der Präsident des nach dem Militärputsch von 1992 eingesetzten Übergangsparlaments, Abdelkader Ben Salah, die Rolle des Vorsitzenden. Unter seiner Führung soll die RND jetzt „für die obersten Interessen des Vaterlandes und der Nation“ streiten und all diejenigen um sich scharen, die für „ein starkes, aufrechtes, der Zukunft zugewandtes Algerien“ eintreten, so die Gründungserklärung. Ben Salah schweigt sich über weitere Mitglieder aus, doch kann die RND mit einflußreichen Gönnern rechnen. Die algerische Presse nennt als Unterstützer neben dem Gewerkschaftsbund UGTA den Verband der Bürgerkriegsveteranen (ONM), deren Nachkommen (ONEM) und die Reservisten der Nationalen Volksarmee (ANP).

Die Gründung einer neuen regimetreuen Partei war nötig geworden, nachdem die Nationale Befreiungsfront (FLN) die Aufgabe als „Transmissionsriemen der Macht“ nicht mehr wahrnehmen konnte – aufgrund ihrer internen Zerstrittenheit: Während die Orthodoxen treu zum Regime stehen, machen die Erneuerer gemeinsame Sache mit der Opposition und treten für eine Aussöhnung mit der FIS ein.

Nach den Wahlen könnte die RND bei der „Bewegung für eine islamische Gesellschaft – Hamas“ vorsprechen, um eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Die gemäßigten Islamisten, deren Chef Scheich Mahfud Nahnah bei den Präsidentschaftswahlen 1995 ein Viertel der Stimmen errang, ist bereits jetzt in der von den Militärs eingesetzten Regierung vertreten. Doch zuvor muß sich Hamas einen neuen Namen zulegen, denn das neue Parteiengesetz verbietet eine rein religiöse Ausrichtung. Bisher will sich Nahnah nicht auf eine Unterstützung der RND festlegen. Die Tageszeitung La Tribune weiß von Kontakten des Scheichs sowohl zu der zweiten legalen islamistischen Gruppierung an-Nahda als auch zu dem orthodoxen Flügel der FLN.

Auch in den Reihen der Opposition werden Bündnispläne geschmiedet. Die FFS öffnet ihre Kandidatenlisten „allen Persönlichkeiten, die für den Frieden eintreten“. Das Angebot richtet sich an die Unterzeichner des „Appells für den Frieden“ vom letzten Herbst – unter ihnen Vertreter kleinerer Parteien, wie die MDA des ehemaligen Staatspräsidenten Ahmed Ben Bella, die mangels flächendeckender Verankerung nach dem neuen Parteiengesetz keine Zulassung mehr erhalten, sowie heimatlose Erneuerer der FLN und Politiker aus dem Umfeld der Auslandsleitung der FIS.

Doch ausgerechnet die Suche nach Dialogpartnern brachte der FFS die innere Spaltung: Kürzlich gründeten FFS-Mitglieder in Tizi Ouzu, der Hauptstadt der Berberregion Kabylei, eine neue Partei. Ihre Kritik an FFS-Chef Ait Ahmed: seine Kontakte zur FIS. Reiner Wandler