In Italien regiert die Hilflosigkeit

Nach dem Tod von 83 albanischen Flüchtlingen beteuert Italiens Marine ihre „Unschuld“ an dem Unglück. Grüne und Neokommunisten fordern Aufhebung der Seeblockade  ■ Aus Brindisi Werner Raith

Für den Kommandanten Piero O. von der Küstenwache war es eine traurige Rehabilitation: Erst kürzlich hatte die taz seine Voraussage baldiger tödlicher Unfälle durch die Seeblockade gegen Albanien-Flüchtlinge veröffentlicht. Obwohl der Name nicht genannt war, hatten die Militärs den Mann ausfindig gemacht und ihm einen harten Verweis erteilt. Nicht einmal drei Stunden nach diesem Rüffel war es schon passiert: Von hinten rammte die italienische Fregatte „Sibilla“ ein altes albanisches Minenräumboot. Das Schiff geriet in Querlage zu den Wellen, kenterte und sank – mit mehr als 100 Menschen an Bord. Nur 32 konnten gerettet werden, 79 Namen von Ertrunkenen hat die albanische Regierung inzwischen veröffentlicht. Vermutlich sind insgesamt 83 Menschen ertrunken. Mehr als die Hälfte der Opfer sind Frauen und Kinder.

Mit einer Sturheit ohnegleichen beteuert die italienische Kriegsmarine ihre Unschuld an dem Vorfall. „Das Schiff hatte bereits vor der Küste Albaniens eine Aufforderung zur Umkehr erhalten“, schimpfte Flottenadmiral Guido Venturoni, „aber es ist weitergefahren.“ Da habe man es dann etwa 50 Kilometer vor Otranto, „zur Umkehr zu zwingen versucht“ – bei Windstärken von 5 bis 6. Das Verteidigungsministerium zog sich auf formales „internationales Recht“ zurück, das „das Durchbrechen einer Seeblockade“ zum „ahndbaren Delikt“ macht. Vom Versenken unbewaffneter Schiffe steht allerdings nichts in den Gesetzen. Schon vor dem Unfall hatte das UN-Hochkommissariat für Flüchtlingswesen die „Zwangsmaßnahmen gegen Menschen, die aus Angst um ihr Leben fliehen“, entsetzt zurückgewiesen.

Nach der Rekonstruktion der italienischen Marine soll der albanische Kapitän „ein Manöver ausgeführt“ haben, das „absolut unvorhersehbar war“. Mit seinem Zickzackkurs sei das Schiff wohl unmittelbar auf den Bug der Fregatte aufgefahren. Die Kratzspuren am italienischen Kriegsschiff sind aber an einer Stelle, wo alte Seehasen sie normalerweise dann finden, „wenn man ein gegnerisches Schiff bewußt rammen will“, so ein Experte nach einer ersten Besichtigung mit dem Fernglas. Wie in alten Zeiten hat die Regierung absolutes Näherungsverbot erlassen. Bereits in der Unfallnacht waren Journalisten von der Untergangsstelle ferngehalten worden.

Die Proteste italienischer Politiker kommen zu spät

Besonders hilflos reagierte die Mitte-links-Regierung Italiens. Ministerpräsident Romano Prodi hatte es nicht einmal nötig, nach Brindisi zu kommen und mit den Überlebenden zu sprechen. Verteidigungsminister Beniamino Andreatta unterstrich, daß die Blockade nur auf Bitten Albaniens eingerichtet worden sei. Der Fraktionschef der Linksdemokraten, Cesare Salvi, befand gar, daß man die „Blockade vor der Küste noch verstärken muß, damit derlei Abwehrmanöver nicht mehr auf offener See stattfinden müssen“.

Nur die – mit in der Regierung sitzenden – Grünen und die ebenfalls zur Koalition gehörenden Neokommunisten forderten die „sofortige Aufhebung dieser inhumanen, hinterhältigen Maßnahme“. Etwas spät, denn die Einrichtung der Schiffsbarrikaden war seit vierzehn Tagen angekündigt und bereits Anfang der Osterwoche in Gang gesetzt worden, ohne daß sich von politischer Seite etwas gerührt hätte.

Auch die Tränen von Oppositionsführer Silvio Berlusconi, der als einziger Toppolitiker schnell vor Ort war und mit den Überlebenden sprach, kamen reichlich spät. Gerade die Rechtsopposition hatte die Einrichtung der Blockade als „ziemlich verspätete, aber immerhin einzig richtige Maßnahme“ begrüßt. Völlig vergaloppierte sich auch die ehemalige Parlamentspräsidentin Irene Pivetti, die mittlerweile an der Spitze einer eigenen, föderalistischen Partei steht: „Diese albanischen Männer, die sich hinter Frauen und Kindern verstecken, um Zuflucht bei uns zu finden, sollte man sowieso alle ins Meer werfen“, sagte sie.

Die albanische Regierung, die der Seeblockade offenbar tatsächlich in einer bisher unveröffentlichten Vereinbarung zugestimmt hatte, ist inzwischen auf Distanz gegangen. Der italienische Botschafter wurde einbestellt, Ministerpräsident Fino forderte „eine lückenlose Aufklärung“ und eine harte Bestrafung der Verantwortlichen. Dafür will auch die italienische Justiz sorgen. Sie hat gegen die Kapitäne beider Schiffe ein Verfahren eingeleitet. Der feine Unterschied: Der italienische Kapitän bleibt zunächst auf freiem Fuß, der albanische sitzt in Untersuchungshaft. Kommentar Seite 10