Gelber Kranich wird gerupft

In Europa fallen die Schranken für Fremdanbieter im Flugverkehr. Liberalisierung des Marktes bringt verstärkte Konkurrenz für die Lufthansa  ■ Von Matthias Urbach

Ab heute wird Deutschland endgültig zum „Schlachtfeld der Liberalisierung“. Das jedenfalls fürchtet Hemjö Klein, Vorstand der Lufthansa. Tatsächlich fällt mit dem 1. April die letzte Beschränkung im innereuropäischen Flugmarkt: Ab sofort darf jede Fluglinie auch außerhalb ihres Stammlandes reine Inlandflüge anbieten – bislang war das einheimischen Linien vorbehalten. Damit endet ein zehnjähriger Liberalisierungsprozeß im offenen Markt am Himmel – in dem vor allem der Lufthansa-Kranich gerupft werden könnte.

Wohin die Reise geht, illustriert das Osterangebot der British-Airways-Tochter Deutsche BA: Für nur 123 Mark konnten Ausflügler von München nach Hamburg und zurück jetten. „Wir wollen vor allem Neukunden gewinnen“, sagt Geschäftsführer Carl Michel, „die bis jetzt mit Bahn oder Auto gefahren sind.“

Doch der Boom nach dem 1. April bleibt erst mal aus: Ganze vier Hin- und Rückflüge wurden von ausländischen Airlines in Deutschland neu angemeldet. „Wir hatten viel mehr erwartet“, sagt Jochen Pieper vom Luftfahrtbundesamt. Allerdings ist der Markt schon längst in Bewegung. Bevor 1987 die Liberalisierung begann, durften zwischen zwei Flughäfen nur die nationalen Airlines verkehren. Lagen die beiden Städte in verschiedenen Ländern, mußten die Sitzplätze zwischen den beiden Staatsairlines aufgeteilt werden. Seit 1993, dem größten Schritt der Marktöffnung, darf jede Airline soviel in andere Länder fliegen, wie sie will. Noch wichtiger: Seit diesem Jahr darf jede Airline in anderen EU-Staaten Niederlassungen gründen.

Deutsche BA hat Lufthansa bereits Kunden abgejagt

British Airways, die gewinnträchtigste Airline der Welt, gründete prompt die Deutsche BA, die liefert seitdem der Lufthansa einen harten Kampf. Mit Preisen pro Rückflugticket von 190 bis 540 Mark jagte sie der Lufthansa schon ein Drittel ihrer Kunden im Inland ab. Zum 1. April ändert sich daher nicht mehr viel für die Deutsche BA. Die schrittweise Liberalisierung sollte einen ruinösen Preiskampf wie in den USA vor 20 Jahren verhindern. Als die ihre Beschränkungen zwischen den Bundesstaaten aufhoben, gingen auch so renommierte Gesellschaften wie Pan Am zugrunde. Daß in der EU bisher keine Traditions-Airline vom Himmel fiel, hat zwei Gründe. Einer ist der Stau in den Flughäfen: In Frankfurt, Berlin- Tegel, und Düsseldorf paßt in den interessanten Zeiten für Geschäftskunden kein Jet mehr dazwischen. So müht sich die Deutsche BA seit Jahren um neue Startzeiten in Frankfurt – ohne Erfolg. Resultat: Auf fast zwei Dritteln aller EU-Strecken fliegt derzeit nur eine Gesellschaft.

Der andere Grund: Mehr als 18 Milliarden Mark Subventionen gingen in den vergangenen fünf Jahren an Alitalia, Iberia und die anderen – allein Frankreich griff seiner Air France mit sieben Milliarden unter die Flügel. Von den 80 Neugründungen seit 1993, die alle ohne Subventionen auskommen mußten, überlebte dagegen nur ein Viertel. Auch die Deutsche BA macht bisher 300 Millionen Verlust – ähnlich ergeht es den BA- Töchtern TAT und Air Liberté in Frankreich. Doch die florierende British Airways hält das noch eine Weile durch – erst im Sommer 1998 will sie Gewinn einfliegen.

Um da mitzuhalten, muß der Kranich Federn lassen – nach eigenen Berechnungen wird Lufthansa den Preis pro Sitz pro Kilometer von derzeit 17,5 Pfennig auf unter 15 bis zum Jahr 2001 drücken müssen. Deutschland ist der attraktivste EU-Markt, weil hier, anders als in Frankreich oder Großbritannien, Wirtschaft und Handel dezentral organisiert sind.

Doch trotz des Drucks läßt sich der Kranich auf mancher Strecke Zeit. So kostet der Business-class- Flug von Berlin nach Frankfurt und zurück auch heute noch 840 Mark, während er nach München bloß 590 kostet. Grund: Dort konkurriert die Deutsche BA mit 520 Mark, nach Frankfurt fliegt der Kranich allein. Da mußte sogar das Kartellamt einschreiten – es verfügte einen Preis von höchstens 610 Mark – die Lufthansa klagt zur Zeit dagegen.

Weil die großen Airlines ihre Claims schon abgesteckt haben und lukrative Flughäfen überfüllt sind, könnte der 1. April den Markt in einer ganz anderen Richtung verändern: Zwei Zwerg-Airlines, die britische Debonair und die französische Air Regional, sind die einzigen Ausländer, die die Liberalisierung diesen Sommer in Deutschland nutzen. Ihre vier neuen Flüge führen nicht zufällig von München nach Mönchengladbach und von Stuttgart nach Münster. Genau das sind die Nischen, in denen die kleinen Billigflieger gegen die Großen bestehen können.

Um jährlich sieben Prozent wächst der Flugverkehr weltweit, eineinhalb Prozent in Deutschland – und kein Ende in Sicht. Ein Horror für die Umweltschützer: Ein 13stündiger Flug nach Tokio heizt das Klima genauso stark an wie viereinhalb Jahre Autofahren, rechnet Birgit Siemen vom BUND vor. Kurzstrecken sind noch schädlicher, weil vor allem die Starts Sprit schlucken. Ihr Gegenkonzept: „Wir brauchen eine Kerosinsteuer – Fliegen muß teurer werden. Doch die EU will keine Kerosinsteuer einführen, „solange es keine internationale Regelung gibt“. Die wird freilich so schnell nicht vom Himmel fallen.

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