Goldgräber im Computerschrott – Jungchemiker recycelt Altanlagen

■ Nach drei Minuten Arbeitszeit pro Platine sind Mikrochips, Metalle und Schräubchen wieder im Kreislauf der Industrie

Kaufbeuren (taz) – Der Chemiker Tobias Marschner ist ein moderner Goldgräber. Der 24jährige Jungunternehmer holt sein Gold nicht aus irgendeinem Fluß, sondern aus ausgemusterten Computern. Er lebt vom Ausschlachten alter EDV-Anlagen und dabei zum nicht unerheblichen Teil vom Gold im Schrott. Die Wertstoffe, die in einem Rechner stecken, sind für ihn bares Geld. Er verdient so viel damit, daß er seinen Kunden ein in dieser Branche reichlich ungewöhnliches Angebot unterbreiten kann. „Ich kann bei Anlieferung die Platinen und anderen Teile kostenlos entgegennehmen, und ich kann von dem, was ich daraus gewinne, leben.“

EDV-Platinen-Recycling heißt seine Firma, die er Anfang diesen Jahres gegründet hat. Im Kaufbeurener Innova-High-Tec-Park, einem privaten Gründerzentrum, hat er günstige Geschäftsräume angemietet.

Und anders als manch anderer Entsorger hat Marschner einen Blick für die kleinen Schrauben, die Chips und Platinen. Viel zuwenig von diesem oft verächtlich als Computerschrott bezeichneten EDV-Bauteilen würde sinnvoll verwertet, meint der Jungunternehmer. Die einzige Art von Recycling sei meist der Shredder. „Auf einer Grafikkarte beispielsweise sind drei, vier gesteckte Teile, die in den allermeisten Fällen wiederverwendet werden können. Von den Boards hole ich Sechskantschrauben runter und die ganzen gesteckten Teile, von Eproms bis zu Prozessoren.“ Diese Elektronikteile würden dann entweder von Computerfreaks oder der Industrie gekauft, getestet und wieder in neue Rechner eingebaut.

Nun möchte man meinen, wenn man als technischer Laie vor diesem Computermüll steht, daß sich eine Demontage nicht mehr lohnt. Doch Chemiker Tobias Marschner hat das „Entrümpeln“ der Motherboards und Grafikkarten knallhart rationalisiert. „An einem einzelnen Motherboard würde man ziemlich lange sitzen, aber bei mir macht es die Masse. Ich kann ein Board, wenn es aus einer Serie ist, in drei Minuten entsorgen. Zirka eine Minute brauche ich, um die Steckteile und Schrauben zu entfernen, die restlichen zwei Minuten zum Entfernen der gelöteten Teile.“ Zu diesem Zweck hat Marschner sich Spezialwerkzeuge bauen lassen, einen Spezialmeißel zum Abschaben der Platinen beispielsweise.

Nicht nur Steckteile und Schrauben werden wiederverwertet. Gutes Geld läßt sich auch mit den verwendeten Metallen machen. Kupfer geht an die Industrie, und das Gold wird zur Überprüfung an den Metallkonzern Degussa geschickt. „Der Goldanteil ist je nach Computertyp sehr unterschiedlich. Industrielle EDV- Anlagen sind für mich ideal, bei den PCs liegt der Goldanteil nur bei rund fünf Mark.“ Kontinuierlich läßt er so Goldbarren pressen. „Drei- bis viermal im Jahr schicke ich mein schon recht reines Gold an die Degussa, bekomme einen Stempel und kann mein Gold an jede Bank verkaufen.“

Das Gold wird übrigens im eigenen Labor, in dem die Elektrolysematerialien ebenfalls wieder konsequent recycelt werden, getrennt. Und so mühevoll im Grammbereich auch gearbeitet werden muß, der Chemiker – der sich auch schon als Pilzsachverständiger einen Namen gemacht hat – ist zuversichtlich, daß seine kleine Firma auch langfristig bestehen wird. Klaus Wittmann