Keine Grüße an den Führer

■ Die Geschichte einer Hamburger Familie und ihrer Verfolgung wegen Rassenschande

Die Publikation von Irene Eckler ist eigentlich so etwas wie das Buch zum Foto. Denn die Fotografie von der Blohm + Voss-Werft-Belegschaft, die zum Stapellauf des Schlachtschiffs „Bismarck“1939 aufmaschiert, wurde erstmals in der Ausstellung Wir sind die Kraft über die Hamburger Arbeiterbewegung 1988 gezeigt. Langsam aber hartnäckig sorgte sie für privatgeschichtliches Aufsehen. Inmitten der Hitlergrüßenden Werftbelegschaft steht ein Mann, der mutig die Arme vor der Brust verschränkt hält! Als dieses Foto 1991 in der Wochenzeitung Die Zeit erneut erschien, gab es eine Frau in Süddeutschland, die dies besonders berührte. Erkannte sie doch in dem sich widersetzenden Mann ihren Vater, der damals zur Zwangsarbeit bei Blohm + Voss gezwungen war. Die Tochter begann die schmerzhafte Rekonstruktion der fast verdrängten Familiengeschichte, die unter dem Titel Die Vormundschaftsakte 1935-1958. Verfolgung einer Familie wegen ,Rassenschande'. Dokumente und Berichte aus Hamburg veröffentlicht wurde.

Als August Landmesser (der Mann auf dem Foto) und Irma Eckler im August 1935 heiraten wollten, wurde ihr Aufgebot im Standesamt nicht mehr angenommen, obwohl das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“erst einen Monat später in Kraft trat. Die 1913 geborene Irma Eckler war Jüdin. Die am 6. August 1937 geborene Irene und ihre zwei Jahre ältere Schwester Ingrid wurden aufgrund des Heiratsverbots unehelich geboren.

August Landmesser, der die Vaterschaft nie geleugnet hatte, wurde im September 1937 in zehnmonatige Untersuchungshaft genommen, wegen mangelnder Beweise freigesprochen, am 15. Juli 1938 allerdings erneut verhaftet und wegen Verstoß gegen die „Rassengesetze“zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Er kam in das berüchtigte Moorlager Börgermoor im Emsland, mußte in der Rüstung Zwangsarbeit leisten. 1941 aus der Haft entlassen, wurde er im Februar 1944 in das sogenannte „Bewährungsbataillon 999“eingezogen. Seit Oktober 1944 galt er als vermißt.

Am 18. Juli 1938, drei Tage nach August Landmesser, wurde auch Irma Eckler, wegen „Rassenschande“verhaftet und ins KZ Ravensbrück verschleppt. Laut Bescheid des Standesamtes Ravensbrück ist sie dort am 28.4.1942 „verstorben“. Die Wahrheit: Im Alter von 29 Jahren war sie im Frühjahr 1942 in die berüchtigte Euthanasieanstalt Bernburg transportiert und in einer mit dem Schild „Zum Baderaum“versehenen Gaskammer ermordet worden.

Die Kinder wurden nach der Verhaftung der Mutter in das Waisenhaus ,gesteckt' und sehr bald voneinander getrennt. Ingrid, ein „Mischling 1. Grades“, kam zu ihrer Großmutter. Irene, nach den Nürnberger Gesetzen „Volljüdin“, mußte in Heimen und bei Pflegeeltern aufwachsen. Deren Mut und der Unerschrockenheit ihres Vormundes, des Landgerichtsrats Hermann Gerson, der 1942 selbst deportiert wurde, verdankt sie ihr Überleben.

Das Buch rekonstruiert die Geschichte der Familie Eckler-Landmesser durch Fotos, zahlreiche Dokumente aus der Vormundschaftsakte, die Briefe der Mutter. Der außerordentlich lakonische, zurückhaltende Stil der verbindenden Texte verhindert nicht die tiefe Erschütterung, die dieses Buch bei jedem mitfühlenden Leser hinterlassen muß. Diese eindringliche Dokumentation der systematischen und unmenschlichen Verfolgung einer Hamburger Familie belegt ein weiteres Mal, wie hohl der langgepflegte Mythos vom liberalen Hamburg während des Nationalsozialismus gewesen ist. Wilfried Weinke

Irene Eckler, „Die Vormundschaftsakte 1935-1958. Verfolgung einer Familie wegen „Rassenschande“. Dokumente und Berichte aus Hamburg“. Horneburg-Verlag, 1996. 178 S., 29,80 Mark