Der Ork aus der Bremer Neustadt

■ Für die RollenspielerInnen in uns: Das Paar Bärbel und Peter Owald verhökert, was Mittelalter-Fans beglückt

Der Kerl sieht aus wie ein Seemann. Rotblonder Bart, wettergegerbtes Gesicht, und die Unterarme sind mit Drachen und Schlangen tätowiert. Sogar aus dem Hemdkragen winden sich zwei blaue Tintenstränge Richtung Hals. Aber Peter Owald ist kein Seemann, sondern ein „Hökerer“, wie er selbst sagt, ein Händler. Seine Ware: Das Mittelalter. Seine Zielgruppe: Der Rollenspieler in uns.

Hier sprechen auch Grabsteine

In Owalds neuem Laden „Hökerer“in der Lahnstraße 24 findet sich alles, was des Rollenspielers Herz begehrt. Normannenstiefel, Leinenhemden, Tongeschirr, Schminkutensilien, Mittelalter-CDs, Met, Latex-Waffen und komplette Kostüme („die nähen wir selbst“), das Sortiment ist unerschöpflich. „Mir fällt auf Anhieb nichts ein, was ich nicht besorgen könnte“, meint der 43jährige. Das, so hofft er, wird auch sein Erfolgsgeheimnis sein. „Hier im Laden habe ich viele Sachen nur einmal oder gar nicht, aber bestellen kann ich alles. Oder auch selbst bauen wie Schatzkisten oder sprechende Grabsteine.“

Sprechende Grabsteine. Soso. Die Seele des Live-Rollenspielers scheint tief und dunkel zu sein. Peter Owald erklärt, wie's funktioniert. Ein Wochenende oder auch 14 Tage lang reisen ganz normale Menschen wie Anwälte, Türsteher oder Bilanzbuchhalter mitten in die Pampa und werden dort zu heldenhaften Kriegern, heimtückischen Zwergen und brutalen Orks. Man schläft draußen, ißt am Lagerfeuer fast rohes Fleisch, betrinkt sich mit Met und freut sich, daß man für ein paar Tage jemand anders sein darf als ein Versicherungskaufmann oder biederer Buchalter. Während der Rollenspieltour bestehen die Teilnehmer diverse Abenteuer und hauen sich gelegentlich die Köpfe ein - natürlich nur mit Latex-Schwertern.

„Klar ist das auch Realitätsflucht“, grinst Peter Owald, seit fünf Jahren selbst passionierter Live-Rollenspieler. „Aber es ist ein irres Gefühl, einfach in eine andere Rolle schlüpfen zu können.“Seine Frau Bärbel („ich spiel immer einen widerlichen Zwerg“) nickt: „Nach einer Tour bin ich total ausgeglichen und zufrieden, da macht mir Streß überhaupt nichts mehr aus.“

Darum hat Owald den ganzen Streß mit dem Umbau und der Einrichtung des Ladens gern auf sich genommen. Mehr als 800 Arbeitsstunden hat er seit Baubeginn am 1. Februar in den „Hökerer“gesteckt, und das sieht man. Steinerne Rundbögen, die natürlich nicht aus Stein sind, sondern aus Gasbeton, eine mächtige Holztheke und ein gewaltiger Holztisch geben dem Geschäft tatsächlich das Aussehen eines mittelalterlichen Kramladens. Und alles hat Peter Owald selbst gemacht, schließlich ist der Mann Dachdeckermeister. „Ich hatte sogar zwölf Jahre lang meine eigene Firma, aber dann hab ich's mit dem Rücken gekriegt und das war's.“Nach einiger Zeit Arbeitslosigkeit kam ihm dann die Idee mit dem „Hökerer“– natürlich auch, weil er selbst Rollenspieler ist.

„Einen Laden, der dieses ganze Mittelalterspektrum abdeckt, den gibt's in Bremen einfach noch nicht. Und außerdem kriegt man nirgends vernünftiges Met. Ich habe jetzt sechs verschiedene Sorten im Angebot und Honig-Bier verkaufe ich auch – saulecker“, erklärt er mit stolzgeschwellter Brust.

Pläne für die Zukunft hat Peter Owald auch schon: Metproben will er abhalten, einen eigenen Katalog erstellen und damit in den Versand gehen und auch Kostüme oder „Gimmicks“wie den sprechenden Grabstein an Rollenspieler verleihen.

Trotzdem hat der Mann nicht den Sinn für die Realitäten verloren: „Das Geschäft ist ein Schuß ins Blaue, ich weiß nicht, wie das Publikum hier reagiert. Ein halbes Jahr kann ich mir eine Flaute erlauben, aber dann muß die Sache rollen. Naja, und wenn nicht, muß ich auch damit leben.“

„Dann liefern wir eben noch Körnerbrot, das haben wir auch schon selbst gemacht“, ruft Bärbel (der Zwerg) aus einer Ecke.

Daß zuwenig Leute den Laden kennen, dürfte aber nicht das Problem sein. „Im Lauf der Bauphase sind hier bestimmt 200 Leute reingekommen und wollten wissen, was das wird: ein Friseur, Restaurant oder ein Sonnenstudio. Erklär mal einer älteren Dame, was du hier für ein Geschäft aufmachen willst. Das ist gar nicht so einfach“, schmunzelt Peter Owald.

Einmal im Jahr auf Abenteuer-Tour

Der steht jetzt täglich von 10 bis 20 Uhr (samstags von 10 bis 16 Uhr) im „Hökerer“, umrieselt von mittelalterlicher Musik und natürlich in „Gewandung“, einem Kaufmanns-Kostüm, und bietet Leinen-Hemden (40 Mark), Masken (20 bis 40 Mark) oder auch mittelalterliche Schuhe (etwa 150 Mark) feil.

Aber für mindestens ein Wochenende im Jahr braucht er eine Vertretung: Dann nämlich geht die ganze Familie Owald, inklusive der drei Töchter, auf Tour und besteht gefährliche Abenteuer. „So ein nächtlicher Ork-Überfall wie im letzten Jahr, das mach' ich aber nie wieder“, bekennt der Mittelalter- und Fantasy-Fan. Denn: „Da renn' ich nachts mit dieser dämlichen Maske durch den Wald, will die Leute erschrecken und klatsch – hatte ich einen sitzen. Mitten zwischen die Augen. Nee, nee“, schüttelt Peter Owald den Kopf, „da spiel ich lieber, was ich in den letzten fünf Jahren immer gespielt habe: Einen Händler.“Und dies nicht nur an einem Wochenende, sondern ab jetzt an jedem Tag im Jahr. Inken Hägermann