■ Jens Reich werden mit Patrick Lindner
: Das Gefühl aus Asphalt

Dem im hannöverschen Gestüt Wallenhorst gezogenen Dreijährigen Dietrich zur Nedden verdanke ich Kenntnis vom Top-Hit des Volksmusiksängers Patrick Lindner: „Sag endlich ,Nein!‘ / Zu Gefühlen aus Stein!“ – Danke, Dietrich, und vor allem: Danke, Patrick! Das mußte und muß endlich und dringend einmal gesagt werden, dieses glasharte „Nein!“ zu Gefühlen aus Stein!

Denn das ist es, was diese Welt kaputtmacht, in Sarajevo, in Tirana, in Jerusalem und anderswo, und vor allem mitten in Deutschland: Gefühle aus Stein! All das Elend dieser Erde kam genau daher, das fühlte ich beim Repetieren dieser Zeilen immer deutlicher! Die Gefühle aus Stein waren schuld! An allem!

Hatte nicht auch Günter Grass diesen Gefühlen getrotzt und ihnen Widerstand angedroht: „Dem sei mein ,Nein!‘ vor die Schwelle gelegt“?

Genau. Und deshalb wollte auch ich etwas tun, so wie Patrick und Günter: Mal aber so was von „Nein!“ sagen! Und das möglichst allgemeinverständlich und folgenlos! Wie ließe sich das „Nein! / Zu Gefühlen aus Stein“, wie man so sagt, noch toppen?

„Sag endlich ,Fuck!‘ / Zu Gefühlen aus Lack?“ – War das die Antwort? Hmmh. Ich grübelte weiter. „Lach es aus, daß es schallt / Das Gefühl aus Asphalt?“ – Nein, nicht wirklich. Vielleicht „Sag endlich ,Oh Shit!‘ / Zu Gefühl aus Granit“? Auch keine echte Lösung. Die Zeit verrann, und ich kam und kam nicht weiter.

Das schrillende Telefon bescherte mir die nötige Denkpause. Matthias Deutschmann, Noch-Kabarettist und zukünftiger Bürgermeister von Müllheim, war am Apparat. Ich schilderte dem alerten, sprachmächtigen Weißen Riesen mein Problem. „Sag einfach ,Njet!‘ / Zu Gefühlen im Bett!“, dröhnte es, untermalt von Cello- Klängen und dennoch wie aus der Kalaschnikow geschossen, in Deutschmanns breiter, ja breiiger Breisgauer Mundart, durch die Muschel. – Tja. Der Mann machte es sich einfach. Typisch Deutsch- Mann!

Ich wollte nicht aufgeben. „Sag endlich ,Du bist ja wie jeder‘ / Zu Gefühlen aus Nappa-Leder“? – Och nö. „Sag endlich ,Vielleicht...‘ / Zu Gefühlen, die seicht?“ – Bah, das war ja ekelhaft! „Sag endlich ,Super!‘ / Zu Gefühlen von Gary und Alice Cooper!“ – Na ja. „Gib kein Pardon / Dem Gefühl aus Beton!“ – Auch nicht besser. „Patrick, bitte behalt's / Dein Gefühlchen aus Schmalz“? – Nein! Ganz falsch! Defätistisch! Kontraproduktiv! So würde ich niemals einen Hit landen.

Aber möglicherweise ging es so: „Sag endlich ,Erlösung‘ / Zu Gefühlen von Kim II Sung?“ – Quatsch, um nicht zu sagen: Quarrtsch! – „Sag endlich ,Hitler‘ / Zu Gefühlen von Helmut Schmidtler“? – Puh, war das noch ich selbst? „Sag endlich ,Mjammjamm‘ / Zum Scheiß des Islam“? – Nicht schlecht; aber wollte ich wirklich jetzt schon Katharina und Salman Rushdie ablösen? War diese vornehme Aufgabe nicht dem Roman „Als die Mullahs laufen lernten“ bzw. „Alles Mullah oder was?“ von Gerhard Henschel und mir vorbehalten?

„Da sei Gott vor / Vor Gefühlen aus Styrop- oder Marmor!“, fiel mir noch ein. „Ich sage ,Du Schuft!‘ / Zu Gefühlen aus heißer Luft“ und, krasser als Wasser, „Sag einfach ,Oh no!‘ / Zu Gefühlen aus H2O!“ – O H2Oje!

Dann aber hatte ich es: Im Osten lag der Hammer begraben, bei den Heulis: „Sag endlich ,Super!‘ und ,Wow!‘ / Zu Gefühlen aus Plaste und Elaste aus Schkopau!“

Und so wurde ich patricklindnermäßig doch noch richtig jensreich. Wiglaf Droste