Der Burger-King gegen seine Kritiker

Großunternehmen pflegen in Großbritannien ihre Kritiker per Verleumdungsklage auszubremsen – die Gesetzeslage macht es möglich. McDonald's produzierte auf diese Weise den längsten Prozeß der britischen Rechtsgeschichte  ■ Von D.D. Guttenplan

Zwischen Februar 1986 und Oktober 1990 hat McDonald's in Großbritannien mindestens 45mal mit gerichtlichen Klagen gedroht, weil wenig Schmeichelhaftes über seine Burger verbreitet wurde oder werden sollte. Drohungen ergingen an Nachrichtenorganisationen wie Granada-Television, BBC und die Tageszeitung Daily Mail, aber auch kleine Blätter wie den News Shopper oder die Studentenzeitung von Leeds. Geholfen hat das immer: Es gab Rückzieher und Entschuldigungen.

Im September 1990 erhob der amerikanische Schnellimbiß-Riese Verleumdungsklage gegen fünf Mitglieder von London Greenpeace, eine kleine anarchistische Gruppe, die mit Greenpeace International nichts zu tun hat. Angesichts eines wahrscheinlich ruinösen Prozesses, ohne Aussicht auf staatliche Prozeßkostenunterstützung („Legal Aid“), die prinzipiell keine Verleumdungsfälle übernimmt, wurde den fünfen zu einem außergerichtlichen Vergleich geraten. Leicht können bis zu 100.000 Pfund (etwa 270.000 DM) Rechtsanwalts- und andere Kosten anfallen, bevor ein Fall überhaupt vor Gericht zugelassen wird; danach stecken Barrister, Juniorbarrister, Anwälte und andere Justizangestellte pro Gerichtstag Tausende von Pfund ein [Anwälte, „solicitors“, können in Großbritannien ihre Klienten nicht vor Gericht, also an der „bar“, vertreten; sie beauftragen damit sehr viel teurere „barristers“; Anm. d. Ü.]. „In keiner anderen Rechtsstreitigkeit ist der Angeklagte derart der Finanzkraft des Klägers ausgeliefert wie in Verleumdungsfällen“, sagt Justizrat Geoffrey Robertson.

Drei Mitglieder von London Greenpeace ließen sich auf einen Vergleich ein. Helen Steel und Dave Morris waren jedoch entschlossen zu kämpfen. Sie gaben an, das sechsseitige Pamphlet „What's wrong with McDonald's“ – über den Umgang des Unternehmens mit Gesundheit, Umweltschutz, Tierrechten und seinen Angestellten – weder geschrieben noch verteilt zu haben. Aber sie erklärten, sich mit den Aussagen der Broschüre zu identifizieren und sie vor Gericht verteidigen zu wollen.

In vorgerichtlichen Anhörungen argumentierte McDonald's, die hier behandelten Probleme seien für eine Jury, ein Schöffengericht, zu kompliziert. Außerdem, so Justizrat Richard Rampton, würde ein Juryverfahren sechs oder gar sieben Wochen dauern, im Gegensatz zu „drei oder vier Wochen ohne Jury“. Richter Rodger Bell war der gleichen Meinung, und im Juni 1994, nachdem die Angeklagten ein Antragsverfahren auf staatliche Prozeßkostenunterstützung vor dem Europäischen Gerichtshof verloren hatten, begann der Prozeß. Morris und Steel übernahmen ihre Verteidigung selbst. Am Ende des Verfahrens, im Dezember 1996, hatte der Fall „McDonald's versus Morris and Steel“ als längster Prozeß in Großbritannien Geschichte gemacht.

Als sich das Verfahren immer weiter hinzog und sein „David gegen Goliath“-Charakter deutlicher wurde, wurden die Medien aufmerksam. Nach unappetitlichen Enthüllungen über die Praktiken des Unternehmens – es hatte u.a. gleich zwei private Detekteien angeheuert, um die etwa zehn Mitglieder von London Greenpeace auszuspionieren – richteten im Februar 1995 Unterstützer von Morris und Steel im Internet eine „McSpotlight“-Seite ein, die sich ausschließlich mit „McDonald's, McLibel, Multinationals“ befaßt [libel= Verleumdung, Anm. d. Ü.]. Um sie dem Geltungsbereich der britischen Verleumdungsgesetze zu entziehen, wurde sie in Holland installiert.

„McSpotlight“ umfaßt die verbotene Broschüre „What's wrong with McDonald's?“ in 14 Sprachen; eine mit Index versehene Mitschrift der Gerichtsverhandlungen; Bestellformulare für McLibel- T-Shirts und -Anstecker; fast alle Filmausschnitte, Cartoons und Artikel, deren Veröffentlichung McDonald's jemals zu verhindern versucht hat – und natürlich Werbeanzeigen für das Buch „McLibel: Burger Culture on Trial“, das Morris und Steel über den Fall geschrieben haben und das in Kürze in den Buchhandel kommen wird.

Oder vielleicht auch nicht. Kürzlich überzeugte nämlich der Abgeordnete Neil Hamilton durch Androhung von Verleumdungsklagen mehrere größere Buchketten, das Buch „Sleaze: The Corruption of Parliament“ [den Bericht zweier Guardian-Journalisten über den Skandal, daß Abgeordnete sich für Parlamentsanfragen bezahlen ließen; Anm. d. Ü.], nicht in ihr Sortiment zu nehmen.

Eine richterliche Entscheidung im „McLibel“-Fall wird nicht vor Ende März erwartet. Falls Steel und Morris doch verlieren, werden sie auch McDonald's Prozeßkosten übernehmen müssen. Außerdem hat das Unternehmen – obwohl es das immer wieder dementiert – auf 100.000 Pfund Schadensersatz geklagt, dazu auf Unterlassung der Wiederholung der im Pamphlet gemachten Aussagen.

Einkommenseinbußen, Unterdrückung der freien Meinungsäußerung, möglicher Freiheitsverlust: „McLibel“, sagt Barrister Keir Starmer, ist „ein enorm wichtiges Menschenrechtsthema. Es stellt das gesamte britische Verleumdungsrecht in Frage.“ John Wadham, Direktor der Bürgerrechtsorganisation Liberty, hält dagegen die Verweigerung der staatlichen Prozeßkostenhilfe für das eigentliche Problem von Verleumdungsprozessen. Kein Verständnis hat er jedoch für den Vorschlag, Großbritannien brauche einen nach US- amerikanischem Vorbild formulierten First-Amendment-Paragraphen [d.h. die konstitutionelle Garantie der Meinungs- und Pressefreiheit; Anm. d. Ü.]. „Der First- Amendment-Paragraph ist ganz falsch“, meint er. „Richtig ist Artikel 19 [zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte].“

Doch nur in Großbritannien, einem Unterzeichnerstaat sowohl der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als auch der ähnlich formulierten Europäischen Konvention der Menschenrechte, kann ein US-amerikanisches Großunternehmen die Gerichte dazu mißbrauchen, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen. McDonald's ist da nicht allein. So gewann das pharmazeutische Unternehmen Upjohn kürzlich eine 25.000-Pfund-Klage gegen einen schottischen Arzt, der mit einer negativen Bemerkung in der New York Times zitiert worden war. Deren absolut minimale Verkaufszahlen in England reichten der britischen Justiz offenbar aus, sich zuständig zu fühlen.

US-Firmen bringen solche Fälle in ihrem eigenen Land nur selten vor Gericht – weil sie verlieren würden. Nach amerikanischem Recht liegt die Beweislast nämlich beim Kläger, der den Nachweis erbringen muß, diffamiert worden zu sein. Und seit einem Urteil des Obersten Gerichts von 1964 muß jeder Kläger, der als „öffentliche Person“ gilt, zudem nachweisen, daß die Diffamierungen „aus böser Absicht oder bewußter Mißachtung der wahren Zusammenhänge“ gemacht worden sind.

Auch britische Unternehmen benutzen gerne das Verleumdungsgesetz, um nicht allzu gründlich unter die Lupe genommen zu werden. Doch die Zahl der Fälle, die vor Gericht landen, ist relativ klein. Laut Justin Walford, Rechtsexperte der Mediengruppe Express Newspapers, genügt in den meisten Fällen ein Anruf, ein Brief oder eine Vorladung. Er glaubt, daß sich McDonald's enorme Kosten für diesen Prozeß als gute Investition erweisen könnten. „Wer McDonald's kritisieren will, muß sich vor Augen halten, mit wem er es zu tun hat: mit einem Unternehmen, das sich einen Prozeß zehn Millionen Pfund und sechs Jahre kosten läßt. Wer will das riskieren?“

Falls die Labour-Partei die Wahlen am 1. Mai gewinnt, hat sie versprochen, die europäische Menschenrechtskonvention ins britische Gesetz zu integrieren. Dann müßten auch britische Richter über die in Artikel 10 garantierte Presse- und Meinungsfreiheit entscheiden. Falls aber weder die Gerichte noch die Legislative zum Handeln bereit sind – bliebe die freie Meinungsäußerung in Großbritannien ewig korporativer Willkür ausgeliefert? Vielleicht nicht. Der Amnesty-international- Anwalt Andrew Clapham weist darauf hin, daß sich die internationale Gesetzgebung zunehmend mit der Tendenz zur „Privatisierung von Menschenrechten“ auseinandersetzt. „Wir denken an Menschenrechte in der Regel als Restriktionsmittel gegenüber staatlichen Zumutungen“, sagt Clapham. „Aber ob dich der Staat oder eine private Wachgesellschaft durchsucht, ist dasselbe.“

Auch die Anwendung des Verleumdungsparagraphen zur Unterdrückung abweichender Meinungen ist eine Verletzung internationalen Rechts. So verweist Clapham auf einen Fall, in dem der Europäische Gerichtshof der Sunday Times das Recht zur Publikation von Informationen über das Medikament Thalidomide bestätigte, obwohl ein britisches Gericht das verboten hatte. Sollten auch Morris und Steel nach Straßburg gehen, will Keir Starmer sie dort vertreten. Er hält das geltende Gesetz für absurd. „In Verleumdungsfällen schützt die Justiz als höchstes Gut die persönliche Reputation – mehr sogar als Leib und Leben.“

Falls das bestehende Verleumdungsgesetz aufgehoben wird, sollten sich die mit einer Neuformulierung beauftragten Politiker vielleicht zwei jüngere Fälle in New York und Kalifornien ansehen, in denen das Recht auf freie Meinungsäußerung wesentlich stärker geschützt wurde. Auch hier versuchten große Unternehmen, Verleumdungsklagen dazu zu benutzen, ihre Kritiker zum Schweigen zu bringen. Um die bürgerrechtlich zweifelhaften Effekte der SLAPPs [Strategic Lawsuits Against Public Participation – etwa: strategische Klageerhebung gegen Einmischung in öffentliche Angelegenheiten; Anm. d. Ü.] zu bekämpfen, haben die Gesetzgeber beider Staaten Bestimmungen erlassen, die potentielle Angeklagte schützen, die – wie ein kalifornischer Paragraph es formuliert – „im Zusammenhang mit einer öffentlichen Angelegenheit ihr Recht auf Petitionen und freie Meinungsäußerung“ ausüben.

„Das verhindert nicht, daß sie verklagt werden“, sagt Victor Kovner, ein New Yorker Experte für die First-Amendment. „Aber es erlaubt Richtern, einen Fall schon sehr früh abzuweisen, und dient der Kostenerstattung, manchmal auch Schmerzensgeldzahlungen.“

Keine Gesetzesänderung der Welt gibt Morris und Steel die zwei Jahre wieder, die sie in britischen Gerichtssälen verbracht haben. Aber danach wird kein britisches Gericht „McSpotlight“ mehr zum Schweigen bringen...

D.D. Guttenplan war Medienkritiker in New York. Er lebt heute in London und schreibt derzeit an einer Biographie von I.F. Stone.