Eigenmächtiger Verbraucherschutz

Krieg der Schüsseln: Spaniens Regierungschef Aznar versucht mit Gesetzentwürfen, sein halbstaatliches Digitalfernsehen gegen die private Konkurrenz PRISA durchzudrücken  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Das gab es seit Francos Tod 1975 nicht mehr. Hunderte von Journalisten, Künstlern und Intellektuellen unterschrieben ein Manifest gegen „die Verfolgung der Gruppe PRISA, Herausgeberin der Tageszeitung El Pais und anderer Medien, die in den letzten 20 Jahren entscheidend zur Festigung der Freiheit in Spanien beigetragen haben“. Zu den Unterzeichnern gehören die Direktoren namhafter Tageszeitungen wie Le Monde, O Publico und The Independent; Schriftsteller wie Umberto Eco, Susan Sontag oder Gabriel Garcia Márquez; Stars wie Julio Iglesias oder Gloria Estefan.

Ihr Vorwurf: Spaniens Regierungschef Aznar mißbrauche seine Macht, um in den Medienmarkt einzugreifen. Mit Dekreten und Gesetzentwürfen versuche er, eine der beiden Plattformen für Digitalfernsehen, Canal Satélite, auszustechen, um den Mitbewerber, ein Konsortium um das spanische Staatsfernsehen RTVE und die Telefongesellschaft Telefónica, zu begünstigen. Canal Satélite gehört zum PRISA-Konzern, dessen Medien ihre, wenn auch verhaltene, Sympathie für Aznars Amtsvorgänger, den Sozialisten Felipe González, nie verbargen. Die sogenannte Staatsplattform für das Geschäft mit pay for view vereint all jene Publikationen, die einst zum Aufstieg Aznars beitrugen: darunter das Sensationsblatt El Mundo und Rechtsaußen ABC.

Der Decoder von Canal Satélite, der in 220.000 französischen Haushalten steht, wurde in Spanien für rechtswidrig erklärt. Er sei nicht mit anderen Systemen kompatibel, lautet der Vorwurf der Regierung, obwohl PRISA das Gegenteil bewies. Trotz Strafandrohung sendet Canal Satélite seit Februar auf zwei Dutzend Kanälen. Zuvor hatte sich das Haus einen Großteil der spanischen Fußballübertragungsrechte für die nächsten Jahre gesichert. Aznar will auch das durchkreuzen. Ein Gesetzentwurf erklärt den Profifußball kurzerhand zur „Veranstaltung des öffentlichen Interesses“. „Wichtige Spiele sowie die der Nationalmannschaft“ sollen nur noch „live, unverschlüsselt und für das gesamte Staatsgebiet“ ausgestrahlt werden dürfen. „Verbraucherschutz“ und „Liberalisierung“, nennt Aznar das. „Wettbewerbsverzerrende Maßnahmen“, meint PRISA. Canal Satélite solle um jeden Preis behindert werden, da der halbstaatliche Konkurrent vor Frühsommer nicht starten kann. Jetzt muß Brüssel die diversen Gesetze prüfen und notfalls ein Machtwort sprechen.

Die Auseinandersetzung zwischen Regierung und PRISA ist längst auch öffentliche Glaubensfrage geworden. Am Arbeitsplatz, beim Einkaufen, im Taxi tobt der „Fernsehkrieg“, als ginge es abermals darum, González zu stützen oder zu stürzen. Konservative und Anhänger der kommunistischen Vereinigten Linken halten es mit der Staatsplattform, González' Parteigänger mit Canal Satélite.

Unerwartete Schützenhilfe für seine eigenwillige Medienpolitik bekommt Aznar dieser Tage vom Herausgeber der Zeitschrift Epoca, Jaime Campmany. In einem Artikel beschuldigte er den ebenfalls zu PRISA gehörenden spanischen Canal+, die von den Kunden für die Decoder hinterlegten Kautionen, 280 Millionen Mark, für Investitionen mißbraucht zu haben. Ein Rechtsprofessor an der Madrider Universität Autonoma, Javier Sáinz Moreno, griff die Informationen auf und stieß bei Richter Javier Gómez de Liaño auf offene Ohren.

Die Folge: eine Durchsuchung von Canal+ und eine richterliche Vorladung der gesamten Führungsspitze, darunter auch PRISA-Chef Jesús de Polanco. Die Anklage lautet auf „unrechtmäßige Aneignung“. Die 19 Betroffenen dürfen das Land bis zum Ende des Verfahrens nicht verlassen. Der Chef von Canal+, Carlos Abad, ist zuversichtlich, den Prozeß zu gewinnen. Kautionen zu investieren sei „übliches Geschäftsgebahren“, erklärt er unter Verweis auf die staatlichen Elektrizitäts- und Gaswerke. Und: „Immer wenn jemand kündigt, zahlen wir die Kaution prompt zurück.“

Ein illustrer Kreis hat sich da gegen Canal+ verschworen: Campmany war, bevor er 1985 die Sensationspostille Epoca übernahm, enger Mitarbeiter der Chefredaktion der Tageszeitung der faschistischen Falange, Arriba, dem wichtigsten Blatt der Franco-Diktatur. Heute ist er an dem Regierungsprojekt für Digitalfernsehen beteiligt. Sáinz Moreno machte sich als Verteidiger des Großunternehmers Ruiz Mateos einen Namen. Dieser wurde 1983 wegen illegaler Finanzoperationen von der Regierung González enteignet und vor Gericht gestellt. Das Urteil – bis zu 15 Jahren Haft – wird für die nächsten Wochen erwartet. Seit der Enteignung kaufen Ruiz Mateos und seine Anwälte überall Informationen zusammen, die sie gegen die Sozialisten ausstreuen lassen. Der größte Clou: eine Pressekonferenz, in der Expolizist José Amedo ankündigte, sich als Kronzeuge in Sachen schmutziger Krieg der GAL zur Verfügung zu stellen. Die Ermittlungen gegen die rechtsterroristische Gruppe, der in den achtziger Jahren 28 Menschen aus dem Umfeld der baskischen ETA zum Opfer fielen, wurden daraufhin wiederaufgenommen. Selbst González sieht sich in das Verfahren hineingezogen. Der Skandal trug nicht unwesentlich zu seiner Wahlniederlage vor einem Jahr bei.

Javier Gómez de Liaño ist einer der GAL-Ermittlungsrichter. El Pais wirft ihm immer wieder vor, dabei nicht ganz unparteiisch zu sein. Denn sein Bruder Mariano ist Anwalt eines anderen von den Sozialisten enteigneten Unternehmers, des Chefs der Bank Banesto, Mario Conde, der jetzt in einem ersten Verfahren wegen Veruntreuung zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Auch Conde und dessen Anwälte haben immer wieder Geheimdienstakten aufgekauft und der Presse zugespielt. Sie gingen dabei soweit, González direkt zu kontaktieren und ihm ein Ende der Skandalflut im Tausch für eine Einstellung der Verfahren gegen Conde anzubieten.

Auch Aznar selbst hat Prozeßlust bekommen. González soll sich bei ihm für den Vorwurf entschuldigen, die mexikanische Fernsehanstalt Televisa – mit im digitalen Regierungsboot – habe den Wahlkampf der Konservativen mit 25 Millionen Dollar unterstützt. Die Anschuldigungen sollen auf einer Sitzung des Parteiausschusses der Sozialisten gefallen sein. González habe die Worte vor sich hingebrummelt, während einer seiner Genossen ein Referat hielt. Das Mikro des Oppositionsführers war abgeschaltet, und nur wer direkt neben ihm saß und die Ohren spitzte, konnte die jetzt prozeßrelevante Aussage überhaupt hören.