■ USA: Verschärftes Einwanderungsgesetz verschoben
: Moraldebatten und Sündenböcke

Wenn Politiker in den USA von family values reden, meinen sie nicht die Institution der Scheinehe. Doch eben dieser haben sie mit dem neuen Gesetz gegen illegale Einwanderung in den letzten Wochen zu neuen Rekorden verholfen. Aus Angst vor Abschiebung wird derzeit geheiratet, was der Ehemarkt hergibt. Hauptsache, der willige Partner ist US-Staatsbürger.

Nun ist zunächst einmal unbestritten, daß jeder Staat das Recht hat, illegale Immigration zu unterbinden – und die Pflicht, ihre Existenz rational und pragmatisch zu behandeln. In dieser Hinsicht hatten die USA europäischen Ländern immer schon einiges voraus. Die Anwesenheit von mehreren Millionen „Illegalen“ war in den letzten Jahrzehnten ein ebenso bekannter wie unumstößlicher Fakt, dem mit ökonomischem Kalkül und dem Selbstverständnis eines Einwanderungslandes begegnet worden ist.

Kinder illegaler Einwanderer – so die Überlegung – sind in der Schule besser aufgehoben als auf der Straße; Gesundheitsvorsorge zu gewähren kommt Vater Staat billiger, als die Behandlung in der Notaufnahme zu bezahlen. Hinzu kommt, daß die US-Volkswirtschaft unterm Strich den weitaus besseren Schnitt macht. Ohne die illegalen Einwanderer aus Mexiko, Pakistan, China oder Irland bliebe so manche Shopping Mall dreckig und so manches Motelbett ungemacht. Ein paar Millionen Mittelschichtsfamilien müßten plötzlich ihre Suburb-Idylle selber putzen, und viele berufstätige Amerikanerinnen stünden ohne bezahlbare Kinderbetreuung da. Die Erfüllung des American Dream ruht nicht zuletzt auf den Schultern der nanny, der Tagesmutter aus Peru oder Panama, die billig und ohne Papiere zur Verfügung steht.

An dieser Situation von Angebot und Nachfrage hat sich nicht viel geändert. Folglich ist durchaus vorstellbar, daß dieses Gesetz am Ende von Gerichts wegen nicht nur aufgeschoben, sondern ganz ausgehebelt wird und sich als rituelle Verbeugung vor der Wählerschaft des Rechtsaußen Pat Buchanan erweist. Das entschuldigt nicht die Panik, in die US-Kongreß und Präsident fünf Millionen illegale Einwanderer in den letzten Wochen und Monate gestürzt haben, und den Sündenbockstempel, den man ihnen verstärkt aufdrückt. Bei der nächsten Moraldebatte um den Zerfall der Ehe weiß man jetzt schon, wer schuld ist: die illegalen Immigranten. Andrea Böhm