Wirtschaft auf Sparflamme

In Albanien funktionieren weder Handel noch Produktion. Mühevoll nach 1990 begonnene Privatinitiativen gehen jetzt im Chaos unter  ■ Aus Wien Karl Gersuny

Das Zentrum jeder albanischen Stadt gleicht einem armseligen Flohmarkt. Entlang des innerstädtischen Korsos reihen sich Kioske, Gemüsestände und Imbißbuden – von Skodra im Norden bis Gjirokastra im Süden.

Doch wenige Meter abseits beginnt die Tristesse. Armut und Resignation sind die jüngsten Wappentiere im Chaosland des Balkan. Die gewaltsamen Ausschreitungen der vergangenen Wochen vernichteten auf einen Schlag, was seit 1990 an wirtschaftlicher Initiative in mühevoller Kleinarbeit aufgebaut worden war. Von der Scheinblüte, die dem ärmsten Land Europas für einen kurzen Augenblick den Ruf eines Musterknaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) eingebracht hatte, ist nichts mehr zu sehen.

Derzeit werden keine Steuern entrichtet, keine Zölle erstattet, die Menschen verweigern den staatlichen Wohnungsgesellschaften ihre Miete; Strom-, Gas- und Telefonrechnungen bleiben unbezahlt. Die Basare öffnen nur noch sporadisch, die wenigen Kleinhändler beschränken sich darauf, Lebensmittelkonserven und Medikamente anzubieten – zu unerschwinglichen Preisen. Alles andere wird gebunkert, gut bewacht in Kellerräumen für bessere Zeiten aufbewahrt.

Die wenigen ausländischen Firmenvertretungen sind derzeit damit beschäftigt, ihre Fabrikanlagen mit Hilfe von Polizei und paramilitärischen Sicherheitstrupps gegen Plünderungen durch bewaffnete Banden abzusichern. Wer kann, bringt den Maschinenpark außer Landes, per Schiff ins italienische Brindisi oder mit Sattelschleppern ins griechische Ioannina.

Am fatalsten für die albanische Wirtschaft ist der Pessimismus, der sich unter westlichen Investoren breitmacht. Jeder will so schnell er kann dem Balkanland für immer den Rücken kehren, unabhängig davon, ob sich in den kommenden Monaten die innenpolitische Lage beruhigt und bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni endlich Reformkräfte die Regierungsgeschäfte übernehmen. Die Gründe für die Panikstimmung sind zahlreich: Lange ließen sich Wirtschaftsexperten von den Rekordwachstumszahlen von acht Prozent jährlich täuschen und vernachlässigten die Tatsache, daß diese Entwicklung auf einem für Europa extrem niedrigen Niveau geschah.

Angelockt vom Rohstoffreichtum des Landes, nahmen es Investoren nicht so genau mit der fehlenden Infrastruktur, dem Mangel an Facharbeitern und der archaischen Arbeitsmoral. Mit einer Jahresproduktion von 1,2 Millionen Tonnen war Albanien in kommunistischer Zeit der Welt drittgrößter Chromprodzent gewesen, auch Nickel und Kupfer wurden im großen Stil abgebaut. In der allgemeinen Aufbruchstimmung nach dem Kollaps des alten Regimes übersah man jedoch, daß die traditionellen Absatzmärkte albanischer Produkte im Zuge der Wende in Osteuropa schnell verlorengingen.

Alle Anstrengungen, heimische Öl- und Gasvorkommen auszubeuten und so die Verluste der Rohstoffproduktion wettzumachen, schlugen ebenfalls fehl. Die Öl- und Gasfelder waren weit kleiner als angenommen, und die veralteten Bohranlagen ließen sich nicht mehr reparieren.

Albaniens einziger Lichtblick ist die Privatisierung der Landwirtschaft, die die Regierung unter Präsident Sali Berisha erfolgreich zu Ende brachte. Der Anteil der landwirtschaftlichen Produktion wuchs von 26 Prozent 1989 auf 52,3 Prozent des Bruttoinlandproduktes im vergangenen Jahr. Das Heer Hunderttausender Albaner, die als Saisonarbeiter in Griechenland und Italien jährlich bis zu 450 Millionen Dollar in ihre Heimat überwiesen, blieb bisher eine weitere wichtige Stütze der Regierung, um Hungerrevolten abzuwehren.

Lebensmittel- und Saatgutspenden der EU und der Weltbank verhinderten bei Engpässen jedesmal die offene Rebellion der Mittellosen in den Slums – bis zum bewaffneten Aufstand im Februar. Ein wirtschaftlicher Ausweg aus dem Chaos ist derzeit nicht in Sicht, Spendengelder allein stillen den Hunger, mehr nicht.