Er kriegt alle Burschen

■ In seiner Heimsternwarte filetiert Hans Joachim Leue derzeit den Kometen Hale-Bopp

„Guck mal, da ist Hale-Bopp.“Manch eine/r streckte in den klaren Momenten des Ostersamstagabends den Finger in die Luft und zeigte auf den Kometen, der wie ein unscharfes Ausrufezeichen am Himmel hing. Das Osterfeuer bekam Konkurrenz, Hale-Bopp war Gesprächsthema Nummer eins.

Richtig nah auf die Pelle gerückt ist dem seltenen Himmelskörper ein Mann weit außerhalb Bremens, am Rand des Teufelsmoors. In klaren Nächten macht sich Hans Joachim Leue auf den Weg in den Garten. Stapft durchs Gras auf ein Häuschen zu, in dem andere brav den Spaten aufbewahren – bei ihm verbirgt sich hier seine Ministernwarte. Leue jagt Himmelskörper. Seine Sternwarte ist ein Musterbeispiel an liebevoller Heimbastelarbeit. Das höchst kompliziert aussehende Fernrohr ist selbst gebaut, das Observatorium des Sternguckers ebenfalls. Mit wenigen Handgriffen entriegelt er das Dach und fährt es zur Seite. Freier Blick nach oben.

Hale-Bopp am Firmament entdecken? – Der eingefleischte Keppler-Jünger braucht mehr: Mit hochauflösender Digitalfotografie macht er der Kometenhülle wenigstens teilweise den Garaus und bastelt damit auf dem Heim-PC im Keller die wahren Gesichter von Hale-Bopp zusammen.

Der ernste Mann (57) erklärt, wie die von der Sonne erwärmten Gas-Teilchen in verschiedenen Bahnen den Kometen-Kern verlassen und sich zu „Jets“entwickeln. Aus einem Stapel Papier fischt er ein Blatt mit zwei aufgeklebten Fotos. Eins, erklärt er, habe er selbst gemacht, das andere waren die Profis. Mit einem Teleskop, dessen Spiegeldurchmesser seine Heimsternwarte sprengen würde. Die Unterschiede, darauf weist er extra hin, die Unterschiede sind minimal. Das Dreigestirn Leue, Computerkamera und Fernrohr scheinen Experten zu sein. Filigran sieht so eine Aufnahme aus. Mit vielen Verästelungen und Spuren, die man am Himmel nicht erkennen kann, die deshalb auch allein das Herz der Fachleute höher schlagen lassen. Kometen filetieren ist ein Gezeitenfüllendes Hobby. Erstens gibt es pro Jahr an die 15 solcher „Burschen“, wie Leue sie nennt, und zweitens hat ja auch der Mond durchs Fernrohr betrachtet seinen eigenen Reiz: „Bei Halbmond, das ist, als ob man sich über den Mond bewegt.“Und dann gibt es ja noch so viele Galaxien... Schon der Planetenforscher Bruno Brügel schrieb ja in solch anmutiger Weise über Sonne, Mond und Sterne, daß sich der junge Hans Joachim Leue später an den ausrangierten Brillengläsern der Oma vergriff.

Hinzu kamen Ende der Fünfziger die Kinder und Jugendliche infizierenden Kosmos-Experimentierkästen. Und 1956 legte Leue schließlich sein erstes Heft an: „Wichtige Beobachtungen zur Astronomie.“Kometen, sagt er, sind nicht regelmäßig wiedererlebbar. Und ein Geschwindigkeitsrausch der eigenen Sorte. Die „Burschen“legen 400 Kilometer in einer Sekunde zurück. Aus der jugendlichen Begeisterung sollte ein Beruf werden, doch daraus wurde nichts. Man habe ihm abgeraten, weil damals „nur drei pro Jahr gebraucht wurden“. Heute bedauert er das ein bißchen – und die Berufschancen stellten sich später auch als besser dar als prophezeit. Leue verschlug es ihn in die Raumfahrt-Forschung, später in die Stahlindustrie, wo er sich mit Computernetzen auseinandersetzte und mit der Klöckner-Krise in den vorzeitigen Ruhestand ging.

Vor zwei Jahren baute sich Leue dann mit einem Kollegen seine eigene digitale Kamera. Das gute Stück macht jedem guten alten Negativfilm Konkurrenz. Allerdings nur bei guter elektronischer Kühlung und einem angeschlossenen Wasserkreislauf. Minus 40 Grad sollen es sein, dann erst liefern die elektronischen Augen scharfe Bilder. Damit nicht genug: Mit verschiedenen Farbfiltern versperrt der Hobby-Astronom bestimmten Lichtarten den Weg und kitzelt so auf dem PC noch weitere Details aus seinen Aufnahmen.

Was in den Medien an Bildern vom Kometen auftauchte, tut er leicht verstimmt ab. Zum Teil schlicht überbelichtet. Die ganzen Feinheiten sind futsch. Feinheiten, die Leue seit einem dreiviertel Jahr akribisch aufzeichnet und dokumentiert, unter anderem in der Mitgliedszeitschrift der Bremer Olbers-Gesellschaft. Dort hält er Vorträge, zeigt die Ergebnisse seiner digitalen Fotografie und schreibt über seine „Burschen“; über die unsereins schon froh ist, wenn er sie am Nachthimmel überhaupt entdeckt. Hale-Bopp macht sich derzeit wieder aus dem Staub. Der sonnennächste Punkt war am 1. April erreicht. Und wer noch nicht weiß, wie Hale-Bopp zu finden ist: Am Abend nach Westen gucken, den Kopf bequem in den Nacken legen und auf wolkenlosen Himmel hoffen. Übrigens: Gegen Wolken ist auch Hans Joachim Leue machtlos – dann sieht er nix. ach