Jedes Konzert ist experimentell

■ Der Blockflötist Stephan Schrader und der Lautenist Lee Santana über Alte Musik und die vielen Parallelen zum Jazz

Die Instrumente Blockflöte und Laute sind fast völlig aus dem Konzertleben verschwunden. In den immer größer gewordenen Orchestern wurden diese beiden Instrumente im Verlauf der Musikgeschichte immer seltener genutzt. Trotzdem gibt es MusikerInnen, die sich ausgerechnet diesen „Leisetönern“widmen. Zwei von ihnen heißen Stephan Schrader und Lee Santana. Kurz vor dem Start einer Konzertreihe im Haus im Park erklärten der Blockflötist und der Lautenist der taz, warum.

taz: Für die Instrumente Blockflöte und Laute sind Noten kaum noch erhältlich?

Lee Santana: Ja. Das liegt daran, daß nur weniges von dem, was klingt, auch aufgeschrieben ist. Wir forschen und suchen in Bibliotheken, kaufen Faksimiledrucke, ordern Mikrofilme von Sammlungen und gehen einfach häufig Verweisen aus Briefen, Vorworten und Aufführungsanweisungen nach.

Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt hat als Unterscheidung von Alter und Neuer Musik gemeint, Alte Musik sei in „Aufführungsnotation“geschrieben, Neue hingegen – er meint die nach 1750 – in „Ausführungsnotation“, das heißt, daß nahezu alles, was gespielt wird, auch in den Noten steht. Wie hoch ist der Anteil des nicht Aufgeschriebenen?

Stephan Schrader: Über fünfzig Prozent. Trotzdem sehe ich keinen qualitativen Unterschied zum Beispiel zu Kammermusik von Brahms. Es geht einfach darum, daß ich mit meinem Partner Musik mache, und darum, ob etwas zwischen uns passiert...

Santana: Ja, genau so. Es gibt Leute, die alle Quellen kennen, und es kommt trotzdem keine Musik heraus. Die Quellen müssen das Spielzeug bleiben, einen wirklich lebendigen Prozeß in Gang zu setzen, und das Ergebnis ist dann so unterschiedlich wie im Jazz.

Konzerte im heutigen Sinne hat es damals nicht gegeben. Welche Bedeutung haben für Sie die funktionalen Zusammenhänge?

Santana: Wir können weltliche oder kirchliche Zusammenhänge nicht wieder herstellen, aber ich bin der Meinung, daß wir als Musiker über diese Dinge Bescheid wissen müssen. Auch die Architektur spielt eine Rolle. Wir können sorgfältig Räume aussuchen wie den wunderbaren im Haus im Park, wir bemühen uns um Atmosphären, aber wir können wenig ahnen, wie wir mit dieser sehr leisen Musik unser Publikum erreichen – in diesem Sinne ist jedes Konzert grundsätzlich regelrecht experimentell.

Das Renaissanceinstrument Blockflöte mußte im Barock den größeren Räumen und dem wachsenden Instrumentarium weichen und die Laute den flexibleren Möglichkeiten des Cembalos. Die Zeiten können Sie nicht rekonstruieren, was bedeutet es aber für Sie, diese „ausgestorbenen“Instrumente zu spielen.

Santana: Ich kann das so nicht sehen. Alles, was ich spiele, existiert jetzt in diesem Augenblick und ist deswegen absolut lebendig. Das Sinfonieorchester, das ist doch nicht modern, sondern vollkommen altmodisch, wie die Fräcke da sitzen.

Schrader: Wenn ich improvisieren muß, weiß ich nie, wo es hingeht. Übrigens glaube ich, wir können noch so viel studieren, wir haben null Ahnung von dem, wie es damals wirklich geklungen hat.

Das Programm mit den acht Konzerten weist sowohl übergreifende Kontexte als auch Gegensätze auf.

Schrader: Ja, zum Teil werden die Sachen mehrfach in verschiedenen Besetzungen, dann auch mit Gesang gespielt. Wir spielen die Hits der Renaissance, dann ein Programm aus dem Hochbarock.

Ein Programm heißt „Florida“?

Santana: Florida ist meine Heimat. Es sind Stücke von mir über „paradise lost“, über das verlorene Land der Blumen. Sie kennen die Hochhäuser an unseren Stränden, es ist alles zerstört. Ich habe aber auch zu diesem Thema Musik aus dem siebzehnten Jahrhundert gefunden.

Wie haben Sie die Laute für sich entdeckt?

Santana: Ich habe E-Gitarre in einer Band gespielt, sechs Tage in der Woche jeden Abend. Mit siebzehn hat mich dieser Betrieb so angekotzt, daß ich eines Tages alles einschließlich Terminkalender in den Ozean geschmissen habe. Ich habe davon geträumt, daß Leute zuhören, wenn Musik gespielt wird. Ich habe dann erstmal klassische Gitarre weitergespielt, bis mir ein Freund eine Lautenplatte geschenkt hat. Das war's dann. Ihre intime Farbigkeit hat mich nicht mehr losgelassen.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Freitag, 20 Uhr, Haus im Park: Zweites Konzert der Reihe „Concertino 97“– „Metamorfosi musicali eins“mit Lee Santana, Lauten. Drittes Konzert am 6. Mai mit Stephan Schrader, Blockflöten, Hildegard Perl, Viola da gamba und Lee Santana, Lauten.