Trümmerfrau und griechisches Orakel

■ Die Zukunft des Chansons: Cora Frost mit neuer Show und frisch gepreßter CD

So leicht läßt sie sich nicht in den Griff kriegen, schon gar nicht in eine Schublade zwängen. Auf den ersten Blick wirkt Cora Frost kühl, aber das täuscht. Eher ist es Schüchternheit, die sie überspielt mit schönen, grazilen Bewegungen.

Vor einem halben Leben, als sie noch auf dem Weg zu einer Tanzkarriere war, entdeckte Cora Frost Butho und die Vereinbarkeit von Innerlichkeit und formaler Exzentrik. Aus dem Tanzen ist dann – trotz eines Engagements bei Johann Kresnik – nichts geworden. Auch als Stripperin hatte sie versagt: zu unerotisch und abgedreht. Heute macht sie ihre eigene Show, in die sie schnell mal eine Mini- Choreographie hineinschmuggelt, und mit komödiantisch-schrägen Nummern beschwört sie die alten Zeiten in den Rotlichtvierteln herauf: kleine Dramen aus Bars und Taxen, Momente von Glück und Liebe im Vorbeigehen. Selbst hätte man sie wahrscheinlich übersehen, bei Cora Frost und ihrer Combo (Hans Jehle, Jan Fritsch und der gewichtige, großartige Pianist und Komponist Gert Thumser) werden daraus skurril-poetische Geschichten.

Im Februar wurde Cora Frost, für die der Begriff „Kleinkunst“ mehr als unpassend ist, der Deutsche Kleinkunstpreis in der Sparte Chanson/Lied zuerkannt. Dafür, daß sie dem Genre charmant und ungeniert überraschend neue Möglichkeiten eröffne. Das stimmt natürlich, aber irgendwie hat die Jury ihre Qualitäten damit auch unterschätzt. Denn für einen klassischen Chansonabend war sie nie zu haben, und auch „Fugu“, ihre neueste Produktion, ist weit davon entfernt: Frost und „Fugu“, das ist Experiment und absurdes Theater, Varieté mit Spätausläufern bayerischer Volkskomödie.

Wer einfach nur das schön gesungene Lied erwartet, wird unruhig auf dem Stuhl herumrutschen. Zwar kann Cora Frost auch ganz schwelgerisch und weich werden, mit einem Timbre wie die selige Alexandra und mit so viel trauriger Sehnsucht in der Stimme, daß man das Heulen kriegen könnte. Vor allem aber ist sie unberechenbar. Immer wieder jauchzt sie ihren sonst so dunklen Alt in die Höhe und ins Aus, gluckst und grölt, kiekst und tremoliert. Stockt und lauert für einen Moment, um mit einem Fiepston herauszuplatzen. Kunstvoll stilisiert das Ganze und komischer, ausgelassener als in ihren früheren Programmen. Etwas für die kalten Schauer, die den Rücken runterkrauchen. Cora Frost ist mal Kind- und mal Clownfrau, und manchmal ist ihr Ausdruck so ernst und bedeutungsvoll wie der einer griechischen Weissagerin. Doch was wie manieristisches Spiel erscheint, wie pure Exzentrik und das Vorführen von Technik, ist nichts weiter als unmittelbarer Ausdruck.

Cora Frosts neues Programm ist eine Reise vom Berliner Hinterhof über die Ostsee nach Hawaii. Wohin sie kommt, findet sie die Liebe und also auch den Abschied. Wenn das Geliebte verschwindet, sagt sie, bleibt oft nur noch die Liebe übrig. Der Liebe ist dieser Abend gewidmet und jenen, die an ihr gestorben sind. Sinnbildlich steht dafür der japanische Kugelfisch Fugu: Wer die gefährliche Delikatesse falsch zerlegt, hat sein letztes Mahl zu sich genommen. „Liebe löst kriminelle Energien aus“, sagt Cora Frost und denkt an Leute, die Banken überfallen, um Liebesgaben kaufen zu können. Ob sie von Nonnen im Zug gen Florenz erzählt oder von ihrem Onkel, der sie als junges Mädchen küssen wollte und dann nie mehr gesehen ward – auf eine Pointe wartet man vergebens. So billig macht's uns Cora Frost nicht, wenn, dann tut sie's hinterrücks.

Wenn sie etwa auf ihrer neuen CD, „So blau“, Claire Waldoffs „Hannelore“ singt, ist nix da mit Berliner Schangsong und lieblichen Melodien. Cora Frost liefert einige wenige artig dargebotene Takte, dann beginnt die Analyse. Chansonzersetzung im Zeitalter der Postmoderne: Sie jault, spricht, zersingt die Verse und legt schließlich einen überstürzten Endspurt hin. So was traut sich wahrscheinlich nur eine Exil-Münchnerin, die Wahl-Berlinerin geworden ist.

Vor ihr ist nichts sicher: weder ihre bajuwarischen Wurzeln, Daliah Lavi, Gilbert Bécaud noch Allen Ginsbergs schwule S/M-Litanei „Please Master“. Die bürstet sie singend gegen den Strich, bis sie in ihrer monotonen verbalen Raserei in einem Sprechgesang-Orgasmus zum Höhepunkt und Stillstand kommt. Cora Frost plündert die Ahnengalerie des europäischen Liedguts, um sie auf den Kopf zu stellen. Mit scheinbarer Leidenschaftslosigkeit präsentiert sie, wie man mit Gespür Scherz und Ironie bis zu jenem Punkt treibt, wo der Absturz ins Sentimental-Melancholische um so überraschender kommt. Mal aufbrausend und hingebungsvoll oder ganz die Moritatensängerin, mal melancholisch und herzergreifend zärtlich singt sie ihre eigenen oder entdeckten wundersamen Geschichten von (Frauen-)Liebe und anderen Passionen. War sie eben noch die Grotesk-Gesangskünstlerin auf entfernten Spuren der frühen Nina Hagen, wird sie mit „My Boots“ und den Klezmatics jiddisch und einfühlsam.

Mit „So blau“ hatte Cora Frost die Chansontradition kunstvoll und auf einzigartige Weise zertrümmert. Auf diese Steine läßt sich bauen. Mit „Fugu“ hat sie gezeigt, wie's geht. Axel Schock

„Fugu“ in der Bar jeder Vernunft, Schaperstraße 24, bis 20. April, Di.–So. 20.30 Uhr. Die CD „So blau“ (Viellieb Records) ist u.a. im Buchladen Prinz Eisenherz erhältlich.