Später soll Gras drüber wachsen

Seit den Achtzigern kämpften die Bewohner der Britzer Wederstraße gegen den Autobahnbau. Nun kommt der Bagger, die Bewohner müssen weg  ■ Von Holger Wicht

Langsam, aber unaufhaltsam schiebt sich die Großbaustelle voran. Am Autobahndreieck Tempelhof hat sie im Oktober 1995 ihren zweieinhalb Kilometer langen Weg in Richtung Neukölln aufgenommen, 1999 soll sie die Buschkrugallee erreicht haben. Bis zum Britzer Damm ist sie bereits gekommen. Wer von hier auf die Wüste aus Sand und Baumaschinen blickt, sieht kein Land mehr: Bis zum Horizont erstreckt sich die etwa 50 Meter breite Schneise durch den Kiez. Ein Schild erklärt, wozu sie dienen soll: „Hier baut für die Bundesrepublik Deutschland in Auftragsverwaltung das Land Berlin die Bundesautobahn A100 Stadtring.“

Das Eckgrundstück der Wederstraße am Britzer Damm ist bereits geräumt. Im Sommer wird die Baustelle den Britzer Damm unterqueren. Man wird das Kopfsteinpflaster der schmalen Wederstraße zusammensammeln und abtransportieren. Und man wird die zweistöckigen Häuser auf der linken Straßenseite abreißen, die jetzt schon verwaist sind und zu verfallen beginnen. 72 Häuser, zumeist aus der Gründerzeit, und 48 Gewerbebetriebe fallen allein in dieser Straße dem Autobahnbau zum Opfer. Später soll Gras über die Sache wachsen: Dieser Abschnitt der Trasse wird „gedeckelt“ werden – der Verkehr soll im Untergrund rollen.

Zum Beispiel die Hausnummer 50: ein pittoreskes weißes Haus mit aufgemaltem Fachwerk. „Scheiß Autobahn!“ hat jemand in riesigen Buchstaben auf die Wand gepinselt. Und: „Es wird Gerechtigkeit kommen!“ Was tatsächlich kam, war die Kündigung für die HausbewohnerInnen zum 30. Juni letzten Jahres, eine Hausgemeinschaft. „Wir waren keine Zweck-WG“, betont der 29jährige Jörg Taubert, der in der Wederstraße 50 gelebt hat, bis im Februar dieses Jahres endgültig nichts mehr zu machen war. Heute findet sich im Haus nichts als ein paar alte Matratzen, Müll und gesprungene Kachelöfen. Ein paar an die Wände gekleisterte Plakate erinnern daran, daß hier noch vor nicht allzu langer Zeit Gemeinschaftsleben stattgefunden hat: Die „Aufgaben der Wohngruppen“ sind noch festgehalten. Ein weiteres Plakat erzählt unter der Überschrift „Bauernhof“ den Anfang der Geschichte des kleinen Gehöftes mit Stall und Remise: „Wir, eine Gruppe von Schülern, Studenten, Auszubildenden und Angestellten, haben seit dem März 1981 das Haus Wederstraße 50 besetzt, um es seiner ursprünglichen Funktion als Wohn- und Arbeitsstätte zurückzuführen.“

Der Evangelische Kirchenkreis Neukölln half damals, das Projekt zu legalisieren, indem er das Grundstück vom Bund anmietete und den BesetzerInnen Untermietverträge gab. Es entstanden Gemeinschaftsräume, eine Holzwerkstatt, ein Foto- und Elektrolabor. Gemeinsam mit Studenten der Technischen Universität installierten die BewohnerInnen eine Solaranalage, die täglich 600 Liter warmes Wasser lieferte. Mit Unterstützung von „Netzwerk“ wurden Gästezimmer ausgebaut. Gegen einen geringen Obolus konnten BesucherInnen aus aller Welt bis zu drei Wochen Quartier nehmen. Acht Leute haben hier am Schluß noch gewohnt, zusammen mit Kaninchen, Hühnern und einer Katze. Im Sommer saßen sie abends im Hof am Lagerfeuer. Soviel Landleben wie möglich, mitten in der Großstadt.

Getrübt wurde die Idylle in der Wederstraße von Anfang an durch das Damoklesschwert Autobahn. In der Nummer 50 befand sich bis November vergangenen Jahres auch das Büro der BISS, der „Bürger-Initiative Stadtring Süd“, die seit zwei Jahrzehnten gegen die Autobahn angeht. Im Jahr 1979 sogar zwischenzeitlich mit Erfolg: Das Oberverwaltungsgericht erklärte die gesamte Planung für nichtig. Doch es folgte ein neues Planfeststellungsverfahren. „Wenn der Bund beschließt, da ist Bedarf für eine Autobahn, dann ist da Bedarf“ stellt Jörg Taubert resigniert fest. Erneut nahm die BISS den Kampf auf – mit allen Mitteln, die Bürgerinitiativen zur Verfügung stehen. Teure Juristen suchten nach Verfahrensfehlern bei der Planung und fochten Gutachten an, etwa solche zur Umweltverträglichkeit des Bauvorhabens. Die BISS rief zu Demonstrationen auf und walzte symbolisch Papphäuser nieder. Die Hausbesitzer der Wederstraße schlossen sich zu einer Klagemeinschaft zusammen. Im Frühjahr 1996 war die letzte Klage verloren.

Bald darauf machte sich die Hausgemeinschaft auf die Suche nach einem Ersatzdomizil. „Das hat ziemlich auf die Stimmung gedrückt – nicht zu wissen, ob man zusammenbleiben kann und wo man hinkommt“, erinnert sich Jörg Taubert. Auch der Kiez wirkte in jenen Tagen wenig erbaulich. „Seit man keine wertverbessernden Maßnahmen mehr an den Häusern durchführen durfte, war das Gebiet am Kippen“, erzählt Taubert. „Die Leute mit etwas mehr Geld wanderten ab, erste verlassene Häuser wurden ausgeschlachtet, es kamen Obdachlose, Asylbewerber, Sozialhilfeempfänger.“ Britzer Bronx habe man das Gebiet schon genannt, seit sich vermehrt Jugend-Gangs gebildet hatten. Mit denen hatten die BewohnerInnen der Wederstraße 50 freilich keine Probleme: „Die Kids waren schon mit fünf Jahren auf unseren Sommerfesten – die haben uns nichts getan.“

Eine ähnliche Behausung, in der sich das Gemeinschaftsleben hätte fortsetzen lassen, war nicht zu finden. In einem frisch sanierten Gartenhaus in der Schöneberger Crellestraße haben immerhin fünf der acht Leute ein neues Zuhause gefunden. Die anderen haben sich Wohnungen gesucht. Und auch die BISS agiert in neuen Räumen – gemeinsam mit der IG Teltowkanal.

Arbeitslos ist sie nämlich keineswegs nach dem verlorenen Kampf um die Wederstraße. Bis zum Jahr 2006 soll die Autobahn am Teltowkanal entlang über Rudow-Ost die Berliner Landesgrenze erreichen. Neben der Hoffnung, wenigstens den Weiterbau der Autobahn zu verhindern, bleibt noch ein Trostpflaster: In der Wederstraße mußten auch zahlreiche Kfz-Betriebe der Autobahn weichen.

Die BISS/IGT (Behringstraße 33, 12437 Berlin, Tel. 5322502) veranstaltet heute ab 15 Uhr eine Mahnwache an der Buschkrugallee, Höhe U-Bhf. Grenzallee, um „all derer zu gedenken, die den Kiez wegen des Autobahnbaues verlassen mußten oder durch den Weiterbau ihre Domizile noch verlassen müssen“. Die „Grünen Radler“ rufen auf zur Fahrraddemo gegen die Autobahn am Sonntag, den 6. April, 12 Uhr. Die Fahrt wird vom Roten Rathaus nach Altglienicke führen.