Neulich im Loch Ness Von Thomas Gsella

Es geschehen seltsame Dinge, seitdem ich zur arbeitenden Sozialschicht gehöre und tagsüber in die Welt muß. Erst heute morgen weckte mich jene umfängliche Bautätigkeit, kraft derer ein Nachbarhaus seit Jahren auf sich hinweist, und als ich Kaffee getrunken, geraucht, meine Zähne gewienert hatte, schloß ich alle Fenster, es sind immerhin drei, in der festen Überzeugung, täte ich es nicht, würde sich in meiner Wohnung eine Riesenmenge Lärm ansammeln, die ich dann am Feierabend komplett wegzuhören hätte. Eine Milchmädchenrechnung, gewiß. Im Gegensatz zu Hitze oder Luftdruck zählt Lärm nicht zur Familie der klimatischen Ereignisse. Seine Moleküle sind von anderem Holz. Um drastischer zu werden: Nach Abschluß seiner selbst ist Lärm nicht haltbar! Eine Wohnung kann noch warm vom Vortag sein, obwohl es draußen bereits kühler wurde. Lärm aber vergeht in dem Moment, in dem er aufhört. Verständnis habe ich dafür, daß meine Leserinnen und Leser ihr Leben bislang ohne diese Überlegung fristeten. Und doch ist der Sachverhalt von allergrößter Bedeutung für das psychische Wohlauf vornehmlich der Arbeitnehmerschaft. Problematisch wäre, kehrten Tiefrohrleger X und Kruppmann Y nach ihrer lauten Lohnfron in ein Heim zurück, in dem der Bau- und Straßenlärm des ganzen Tages kumuliert umherschwebt.

Was mich aber trieb, die Fenster zuzumachen, trägt den Namen bürgerlicher Isolationismus. Ja, seit etwa einem Jahr muß ich abends meine Ruhe haben und Kabelfernsehen gucken. Ich sage das so nonchalant, obwohl ich weder Fernsehen noch Kabel angemeldet habe und der fahndende Berufsstand sich ins eigene Fleisch ritzt, indem er die taz nicht liest. Seit 1979 besitze ich mehrere eins a Farbfernseher, zwei davon mit allen Schikanen, seit 1991 drei Kabelanschlüsse, das Car-TV ist Ehrensache, und bei Erscheinen dieses Heftes zündeln meine GEZ- Rückstände mit Lust an der kritischen Schwelle. 10.000 Mark sind viel Geld für die geplagten öffentlichen Sender, aber sehr viel mehr für mich, und nun möchte ich noch zweierlei ausrufen: 1) Bringt mir den Kanther! 2) Tot oder lebendig! Auch dieses wird reaktionslos verklingen. Wie GEZ-Bedienstete zählen Innenministerbewacher zum fahndenden Berufsstand, der die taz nicht liest, und wenn aber doch, dann gute Nacht! Der GEZ- Kuckuck auf meinen Eigentümern plus 104mal „lebenslänglich“ wegen Ausdenkung unschöner Sätze wären die Folge nach Paragraph 88a (Ausdenkung unschöner Sätze) in Verbindung mit 88b (schwarz Kabel gucken).

Aber jetzt: Auf zum Kampf mit dem Ungeheuer, hinein ins Loch Ness! Ehrlich gesagt war ich gar nicht drin. Eines meiner Prinzipien lautet: Geselle dich niemals zu Wesen, die dich essen wollen. Der Marxismus ist schon sehr gut. Aber die größte Errungenschaft aller bisherigen Weltgeschichte liegt ohne Zweifel in der stetigen Verkleinerung der Tiermäuler. Im Frankfurter Steinzeitmuseum steht neben allerlei Dinos eine adlergroße Wespe, und der Lehrtext betont, daß die ersten Menschen zu ihren Zeitgenossen zählten. Die Gnade der späten Geburt scheint überzitiert, jedoch ich fordere auf, sich die durchweg gespannte Stimmung in den damaligen Biergärten auszumalen! Jawohl, das male man sich ruhig einmal aus.