■ Schnittplatz
: „Spiegel“ am Mittag

Blättert man durch den Spiegel, so ist eine fortschreitende Veränderung, eine Revolution eventuell gar zu bemerken: Geschult wohl an Focus, ist er inzwischen durchgehend bunt gedruckt, und das schon beinahe an Kohärenz grenzende Inbezugstellen von Text und Bild scheint nicht mehr unter Strafe gestellt.

Auch in der Fersehrubrik hat sich was getan: Dort wird dem Leser zwar nun nicht mehr unterstellt, allenfalls fade Kulturmagazine und Abschlußfilme könnten ihn interessieren, doch dogmatisch ist sie geblieben. Süffi, süffisant wird hier jede Woche das exemplarisch niedergemetzelt, was am einfachsten ist und auf wessen Dooffinden sich auch ganz bestimmt alle einigen können: die täglichen Talkshows, zu denen man ja nun wirklich seit einigen Jahren und noch einigen mehr Aufsätzen lieber stillschweigen sollte. Es ist inzwischen hinlänglich bekannt, worüber da zuviel, zu oft und zu schamlos gesabbelt wird, und das ist dann auch nicht mehr absurd; der gute Trick, die Themen eines Tages in einen aberwitzigen Zusammenhang zu stellen, ist auch etwas schläfengrau.

Doch jede Woche aufs neue werden mindestens drei Shows gegeißelt. Merkwürdig, daß der Niedersinn der Themen immer noch Verwunderung bei den Spiegel- Fernsehbeschreibern auszulösen vermag. Wie und warum sollte eine doofe Sendung mit einem doofen Moderator, einem doofen Format und einem doofen Publikum ein kluges Thema vertalken? Trotzdem, jedesmal eine Riesenherausforderung, einem Schlachtruf vom Schlage „Igitt, mein Mann stinkt!“ eine schlagfertige Entgegnung folgen zu lassen. Schlagfertigkeit ist, über einen doofen Satz lange nachzudenken und dann volle Kanne was Kesses und Geringschätziges zurückzuschleudern. Beim Fußball heißt das Nachtreten.

Wer beim Spiegel im Stehen pißt, darf einen Monat keinen Talkshow-Witz machen, wird gemunkelt. Gut auch vorstellbar, wie man dort mittags schnatternd um einen Fernseher herumspringt und rhythmisch klatschend alles absurd findet. Jetzt reicht's! rufen wir im Chor mit Vera sonstwie. Und nicht nur am Mittag. Benjamin v. Stuckrad-Barre