„Warum immer wieder Türken?“

Vor der ausgebrannten Wohnung der Familie Demir zeigen Krefelds Bürger ihre Anteilnahme. Die Türken glauben an einen rechten Anschlag, die Offiziellen halten sich zurück, die Nachbarn sind entsetzt  ■ Von Heide Platen

Die beiden jungen Frauen kommen am Dienstag abend vor die Alte Gladbacher Straße 31. Eng eingehakt gehen sie über die auf den Pflastersteinen verblassenden Blutflecken. Da liegen die drei Matratzen, die keine Rettung brachten. Zwei sind abgebrannt und verkohlt, eine ist nur noch an einer Ecke mit Polsterresten bezogen. An der Hauswand liegt eine Bettdecke, zerknüllt und naß vom Löschwasser. Die Blumen, Nelken und Rosen, und ein blühender Zweig sind so ausgebreitet, als sei ein Strich gezogen vor der Stelle, an der Fadime Demir (41) und ihre Töchter Serpil (19), Güley und Tüley in der Nacht zum 31. März aus dem dritten Stock ihrer brennenden Wohnung sprangen und auf dem Beton aufschlugen. Fadime und Serpil Demir starben dort.

„Uns reicht es!“ steht auf türkisch auf einem Transparent. Die beiden Frauen, kaum älter als die 15jährigen Zwillingsschwestern Güley und Tüley Demir, stellen ihre Teelichter auf, lehnen sich an die Hauswand, bleiben stehen. Haben sie die Familie Demir gekannt? „Das waren unsere Verwandten!“ Aziz Demir, der nach dem Tod seiner Frau, der ältesten Tochter und des in der brennenden Wohnung erstickten 17jährigen Sohnes einen Schock erlitt, ist der Bruder ihrer Mutter.

Ihre Cousinen Güley und Tüley Demir sind außer Lebensgefahr, das wissen die beiden inzwischen. Aber eine der beiden habe sich bei dem Sprung „alle Knochen gebrochen: Sie wird vielleicht für immer im Rollstuhl sitzen müssen.“

Ob Vater Aziz Demir „wieder zu Hause sei“, werden sie gefragt. „Wo zu Hause?“ fragen sie zurück und deuten auf die schwarzen Fensterhöhlen. Nein, er sei bei einem Bruder. Am Dienstag war Aziz Demir von der Polizei vernommen worden. Sie hatte ihn in der Brandnacht in Schutzhaft genommen, weil er nur so daran gehindert werden konnte, in die Wohnung zu stürmen.

Die jungen Frauen trauern nicht öffentlich. Sie sind bitter; mit Blick auf die Brandstiftung in Mölln und den Prozeß gegen Safwan Eid in Lübeck, sagen sie: „Es wird bestimmt wieder heißen, das war jemand aus einer türkischen Familie.“ Auch sie sind, wie die Demirs, Mitglieder der Krefelder Alevitischen Gemeinde, einer muslimischen Religionsgemeinschaft, die in der Türkei als Minderheit unterdrückt wird. Die Aleviten sind in Krefeld beliebt und gut organisiert und setzen sich auch in der Stadt für ihre Rechte ein. Das hatte zu Spekulationen über einen religiösen Hintergrund des Anschlags geführt.

Doch das sind Vermutungen wie andere vorerst auch. In den Gruppen hinter dem Haus wird ebenso wild vermutet wie ratlos bis zur Schweigsamkeit gegrübelt. „Ich verstehe das nicht“, sagt eine Rußlanddeutsche aus einem Nachbarhaus immer wieder. Aus dem vierten Stock fällt eine rußige Glasscherbe. In der Wohnung über den Demirs haben die Aufräumungsarbeiten begonnen. „Wie könnt ihr jetzt schon daran denken?!“ ruft empört eine deutsche Nachbarin, die gerade ihr Trauerlicht aufgestellt hat, als es klirrt: „Hier sind gerade erst drei Menschen gestorben!“

Sefki ist, wie viele junge TürkInnen, überzeugt, daß die Tat „von deutschen oder holländischen herumreisenden Rechtsextremisten begangen“ wurde. Sie wohnt in einem ähnlichen Nachbarhaus in der 70er-Jahre-Hochhaussiedlung im Süden Krefelds. Sie sah Bilder des Anschlags in einer Zeitung in Berlin und fuhr sofort heim: „Ich dachte erst, das ist mein Haus.“ Und: „Immer Türken!“ Es sind, findet sie, „zu wenige Menschen gekommen und zu wenige Blumen da“. Auf den Besuch des türkischen Botschafters, der zuallererst alle Minderheiten einschließlich der Kurden unter das türkische Volk subsumierte, kann sie verzichten. Auch das demonstrative Ausrollen der Nationalfahne sorgte bei der Alevitischen Gemeinde für Betretenheit.

Sefki zählt die Anschläge und die Toten der letzten Monate zusammen. Auch sie hängt ein Transparent auf: „Menschen im Schlaf morden ist Feigheit“. Sie glaubt der Polizei nicht, daß diese „ordentlich“ ermitteln wird. „Die sagen uns das nie, wenn das wirklich Rechtsextreme waren.“ Die Polizei zeigt vor Ort den ganzen Tag über Präsenz. Rund um das Haus hat sie Fahndungsplakate aufgehängt, auf denen 50.000 Mark für Hinweise auf den oder die Täter geboten werden. Ein junger Mann liest und schiebt seine Baseballmütze in den Nacken: „Das hilft auch nichts. Das ganze Leben ist Scheiße. Man wird geboren, um zu sterben.“

Zwei Schülerinnen haben die ganze Familie, vor allem aber die Zwillinge gut gekannt. Auch ihre Eltern sind aus der Türkei gekommen, auch sie sagen: „Warum sind die Opfer immer wieder Türken?“ Das Verhältnis der Menschen im Haus untereinander sei allerdings „nicht so gut“. 129 Familien wohnen in dem 13stöckigen Haus, „29 sind türkisch“. Schlagzeilen wie „Brandanschlag gegen Türken“ finden sie diskriminierend. Sie klingen in ihren Ohren wie Vollzugsmeldungen der Art „wieder drei weniger“ ...

Die meisten der Trauernden stehen auch am späten Dienstagabend noch ratlos herum. Nicht nur reisende rechte Banden werden als Täter vermutet, sondern auch muslimische Sunniten oder die Grauen Wölfe. Daß die Familie selbst in den Anschlag verstrickt sei, glaubt hier bisher niemand. „Als wäre das nicht alles schon schlimm genug“, sagt Ute Richter vom Krefelder Arbeitskreis gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, „aber diese Unsicherheit, die zerrt an den Nerven und macht den Menschen Angst.“ Daß niemand wirklich einschätzen kann, wer die Schuldigen sind, und vorschnelle Urteile auch Irrtum produzieren können, dürfe nicht lähmend wirken: „Gar nichts machen, das ist auch nichts“, sagt sie und hält ihre Kerze mit dem Friedenszeichen fest.

Der altkatholische Pfarrer Cornelius Schmidt kannte Familie Demir nicht. Aber er fühle sich seelsorgerisch und moralisch in der Schuld. Außerdem habe Krefeld „nicht gerade die besten Bedingungen für Ausländer“. Seit 1994 herrscht im Rathaus eine absolute CDU-Mehrheit. Und seitdem werde „geheizt“, sagt Schmidt. Seine Kritik richtet sich vor allem gegen den CDU-Fraktionsvorsitzenden Wilfrid Fabel. Der umtriebige Anwalt hatte im Dezember 1996 zur Haushaltsdebatte über die leere Stadtkasse gewettert, das Geld, das beispielsweise für die Reparatur von Asylbewerberunterkünften draufgehe, würde „an anderer Stelle dringender gebraucht“. Ende März nannte Fabel die Zahl der Asylbewerber in Krefeld „immer noch zu hoch“.

Wolfgang Schlie vom alteingesessenen Arbeitskreis für ausländische Mitbürger machte sich gestern Sorgen um die Atmosphäre in der einst liberalen Stadt: „Krefeld ist befleckt. Es herrschte eine Atmosphäre von Angst und Unsicherheit.“ Auch das Vorstandsmitglied im grünen Kreisverband Krefeld, Hamed S. Moghanni, kritisiert Fabels Politik. Es vergehe keine Woche, in der der CDU- Chef nicht gegen Minderheiten hetze und sie „für jedes Problem in der Stadt zum Sündenbock mache“. Moghanni: „Ich hoffe, daß es kein rechtsradikaler Anschlag ist.“ Wenn doch, dann sei das auch „geistige Brandstiftung aus dem Rathaus.“ Zu möglichen Tätern mag auch Moghanni nichts sagen. Einen Anschlag der PKK schließt er allerdings aus: „Das ist nicht deren Stil.“ Und auch deutsche Rechtsextremisten hätten in Krefeld leichtere Gelegenheit zum Mord gehabt.

Die Krefelder Polizei hatte auch gestern keine neuen Ermittlungsergebnisse. Sie ist sich aber sicher, daß der Brand in der Wohnung entstanden sei, so ein Sprecher: „Die Täter müssen einen Schlüssel gehabt haben oder eingelassen worden sein.“ Im Polizeipräsidium am Nordwall sitzt derweil Kriminalkommissar Frank K. (Name geändert) und stöhnt: „Wir dürfen nicht den kleinsten Fehler machen.“ Er selbst sei „wirklich heilfroh“, nicht zur Mordkommission abkommandiert worden zu sein. Alle Beamten, sagt er zur taz, spürten den „enormen politischen Druck, daß der Fall bis ins letzte Detail geklärt werden muß“. Gibt es unter seinen Kollegen die Hoffnung, daß es kein rassistischer Anschlag war? „Nein, die Situation ist da. Die Spekulationen sind da. Das allein ist schlimm genug, egal wer's war.“

Ein Rentner, der in der Wohnung gegenüber den Demirs wohnt, war die Fragerei gestern gründlich leid. „Was soll ich mitbekommen haben? Nichts hab' ich mitbekommen, nur den Qualm, den ich geschluckt habe.“ Ein griechischer Nachbar stimmt ihm zu: „Das ist schrecklich. Aber wir wissen nichts.“