■ Medien: Der „Skandal“ um die Tic Tac Toe-Sängerin Lee
: Ach, wie bigott!

Nun hat sie „alles zugegeben“ (Tagesspiegel)! Daß Lee, die Sängerin von Tic Tac Toe, als Prostituierte gearbeitet habe, um sich Geld für Drogen zu beschaffen, das hatte Bild schon mit „Schnappschüssen“ des Arbeitsplatzes illustriert. Sogenannte „Freundinnen“ durften auf RTL 2 behaupten, Lee habe den Selbstmord ihres Ehemannes zu verantworten, den sie rücksichtslos in der Provinz zurückgelassen habe, um Karriere zu machen. Seit Tagen ereifert sich die Yellow Press über den „Schmutz“ hinter der „Glitzerfassade“ der Mädchenband und bedauert die belogenen Fans. Im Stern-Interview verteidigt sich die Verfemte nun gegen die Anschuldigungen.

Aber was ist denn eigentlich zu entschuldigen? Daß die 16jährige Lee in der langweiligsten Stadt Ostwestfalens ihre Sicht auf die Welt mit der Hilfe von Drogen zeitweilig aufhellte? Daß sie zwei Wochen eine „schnelle Mark“ (Bild) im Bordell machte? Daß aus dieser „total beschissenen“ Situation (Lee) die Gründung der erfolgreichsten Mädchenband Deutschlands hervorgeht, deren Texte sich wie Kommentare dieser Vergangenheit anhören? Das Schlampenimage der Band eine „Glitzerfassade“ zu nennen ist Humbug, denn Leben und Werk passen ja offensichtlich. Wenn ein Gangsta-Rapper in den USA erst die Erfahrungen seiner Ghettojugend besingt und dann den Kugeln eines Bandeskrieges zum Opfer fällt, trauert die Gemeinde; in Deutschland dagegen empört sie sich. Daß Lee es aus einem Bielefelder Bordell zum Popstar schaffte, weckt das Ressentiment, als dürfe das Verruchte der Videos immer nur gespielt, aber niemals erlebt sein.

Die Wahrheit „hinter“ der „Fassade“ sei „bitter“, titelt Bild. Sauer daran schmeckt aber nur das Moralin. Wir möchten Lee bewundern wie eine Romanheldin vom Schlage Moll Flanders'. Eine Veränderung, die vom „rosa BH“ und „gelben Mini-Body“ in einem Bielefelder „Eros-Center“ (Bild) zu einer mit geschmackvoller Nachlässigkeit gekleideten Frontfrau geführt hat, muß allein schon aus ästhetischen Gründen gutgeheißen werden. Nein, Lees Erlebnisse mit Prostitution, Abtreibung, Kokain entwerten Tic Tac Toe nicht im geringsten – sie veredeln jedes Lied zum Thema vielmehr mit sonst unbekannter Wahrhaftigkeit. Wer die keimfreien Boygroups kennt und das durch und durch Erfundene jeder ihrer Gesten belächelt, sollte sich auf die nächsten Lieder von Tic Tac Toe freuen. Niels Werber