Von Brazzaville nach Kinshasa – und zurück

■ Wollen die internationalen Streitkräfte im Kongo wirklich nur in Zaire intervenieren?

Brazzaville, die Hauptstadt der Republik Kongo, liegt genau gegenüber der zairischen Hauptstadt Kinshasa am Kongo-Fluß. Mit 800.000 Einwohnern ist Brazzaville kaum mehr als ein Vorort der Fünf-Millionen-Stadt Kinshasa, eine der größten Metropolen Afrikas. Sollte der zairische Krieg Kinshasa erreichen und auch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung sich über den Fluß nach Brazzaville retten wollen, wäre der kleine Kongo überwältigt.

In Brazzaville ist inzwischen eine beachtliche internationale Streitmacht aufmarschiert, die sich auf eine eventuelle Zaire-Intervention vorbereitet. Ein Grund dafür ist die Furcht vor einer gewalttätigen Plünderung Kinshasas. Im Kampf gegen die AFDL-Rebellen in Zaire haben geschlagene Regierungstruppen bisher regelmäßig Städte ausgeplündert, bevor sie sich aus ihnen zurückzogen. Und Kinshasa hat bereits 1991 und 1993 unter Zerstörungsorgien revoltierender Soldaten gelitten.

350 belgische Soldaten mit schweren Waffen, 300 Franzosen, 250 US-Soldaten und 60 Briten sind bereits eingetroffen, um Ausländer aus Kinshasa evakuieren zu können. Zur Evakuierung auf dem Wasserweg stehen britische Schnellboote bereit; die Franzosen wollen lieber die privaten Fährschiffe auf dem Kongo-Fluß requirieren. Mysteriöser ist die Entscheidung Belgiens, 200 weitere Soldaten in Pointe-Noire zu stationieren – dem Atlantikhafen von Kongo, 500 Kilometer von Brazzaville entfernt. Ein Grund dafür könnte sein, daß am Wochenende das US-Kriegsschiff „Nassau“ im Atlantik vor der zentralafrikanischen Küste eintreffen soll, komplett mit Kampfflugzeugen und 1.400 U.S. Marines.

Auf die Frage eines Reporters, wofür so viele Soldaten gebraucht würden, antwortete US-Armeesprecher Major David Dingle lediglich: „Man muß auf das Schlimmste gefaßt sein.“ Aber bei den ersten großen Plünderorgien des Militärs in Kinshasa 1991 reichten 250 Soldaten aus Frankreich und Belgien, um 14.000 Ausländer zu evakuieren. Heute gibt es in Zaire nur noch zwischen 2.500 und 3.000 Ausländer.

So zirkulieren vielfältige Spekulationen über die ausländischen Soldaten. „Während sich der Krieg in Zaire intensiviert, werden Waffen und Munition im Kongo gelagert, um eine der beiden Konfliktparteien zu unterstützen“, behauptet die Zeitung Le Potentiel in Kinshasa. „Kongo tritt sein Staatsgebiet an Frankreich ab, dessen Interessen in Zaire bedroht sind“, weiß die Zeitung Congolais Révolté in Brazzaville. „Wir haben in diesem Teil Afrikas keine wirklichen Interessen“, behauptete dagegen vor kurzem Frankreichs Außenminister Hervé de Charette. Amtlich sagt sein Ministerium, die Truppenentsendung nach Brazzaville sei „einzig und strikt für eine eventuelle Evakuierung von Ausländern aus Zaire gedacht“. De Charette hat aber auch mehrmals gesagt, daß Zaires Zukunft nicht ohne Mobutu gestaltet werden könnte. Ganz anders dagegen kürzlich Belgiens Außenminister Derycke: „Nach 35 Jahren Mobutu ist das Land zerstört. Die Zairer wollen den Wandel, und der Wandel heißt jetzt Kabila.“ Bei solchen Meinungsverschiedenheiten ist nicht verwunderlich, daß offiziell jedes Truppenentsendungsland in Brazzaville seine eigene Militäraktion plant, ohne Koordination mit den anderen.

Aber selbst in Frankreich wird inzwischen immer mehr Politikern klar, daß sie zu lange auf Mobutu gesetzt haben – der unter anderem 1988 Jacques Chiracs Präsidentschaftswahlkampf mitfinanzierte. Nachdem François Mitterrand 1994 aufgrund seiner Freundschaft mit dem geschlagenen Hutu-Regime schon Ruanda für Frankreich „verlor“, könnte Chirac jetzt dasselbe Mißgeschick mit Zaire widerfahren. Nach einem Sieg der zairischen Rebellen, so die Sorge in Paris, folgt gemäß dem Dominoprinzip das ganze von Frankreich abhängige und politisch fragile Staatengeflecht Kongo, Gabun, Zentralafrikanische Republik und Kamerun. Keine französische Militäraktion würde dagegen etwas ausrichten.

In weiser Voraussicht nannte François Léotard, Chef der an der Regierung beteiligten französischen Partei UDF, Frankreichs Zaire-Politik jetzt in einem Zeitungsartikel ein „dreifaches Scheitern – taktisch, moralisch und geopolitisch“. Sein Rat: Jetzt endlich auf Demokratie setzen und das schon einmal in Brazzaville selbst ausprobieren. Im Juli stehen im Kongo Wahlen an, und da Präsident Pascal Lissouba nicht als Musterdemokrat gelte, schrieb Léotard, sollte man diese Wahlen „mit der größten Wachsamkeit“ beobachten. Vielleicht bleiben die Soldaten in Brazzaville ja noch ein bißchen länger. Dominic Johnson