Moral oder Geschäfte – EU zerstritten

■ Frankreich will China-Resolution zu Menschenrechten verhindern. Niederländischer EU-Ratspräsident van Mierlo droht mit Blockade von UNO-Menschenrechtskommission. Bonner Koalition zerstritten

Genf (taz) – Chinas Menschenrechtsverletzungen spalten die Europäische Union. Weil ein Teil der EU-Mitgliedsstaaten eine entsprechende chinakritische Resolution bei der UNO-Menschenrechtskommission in Genf nicht mehr mittragen will, droht der niederländische Ratspräsident damit, seine Funktion teilweise nicht auszuüben. Die Bonner Bundesregierung ist in der Frage zerstritten.

Der amtierende Ratspräsident – quasi der EU-Außenminister –, Hollands Außenminister van Mierlo, übt in einem Schreiben an seine 14 Amtskollegen scharfe Kritik an den „Doppelstandards“ der EU-Menschenrechtspolitik. Sollte kein gemeinsamer Resolutionsantrag der EU zu China zustande kommen, würden die Niederlande in Genf auch keine Resolution zu irgendeinem anderen Land im Namen der EU einbringen, kündigte van Mierlo an. UNO-Diplomaten anderer EU-Staaten bezeichneten diese Boykott- Ankündigung gegenüber der taz als „bislang einmaligen Vorgang in der gemeinsamen EU-Außenpolitik“.

Noch zu Beginn der diesjährigen Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission am 10. März hatte es in den Außenministerien in Bonn und anderen EU-Hauptstädten geheißen, es gebe bereits den Entwurf für eine gemeinsame China-Resolution. Nun scheint man das Thema Menschenrechte zugunsten ungestörter Wirtschaftsbeziehungen still und heimlich begraben zu wollen.

Letzte Woche distanzierte sich Frankreich offiziell von der Absicht zur Einbringung einer Resolution. Gestern wurde bekannt, daß die chinesische Regierung einen 2,5-Milliarden-Dollar-Auftrag an den europäischen Flugzeugbauer Airbus vergeben will. Offiziell soll das Geschäft im nächsten Monat beim Staatsbesuch von Präsident Jacques Chirac in Peking besiegelt werden. Auch Spanien, Italien und Deutschland meldeten bei EU-internen Beratungen Bedenken gegen die bisher geplante China-Resolution an.

Die deutsche Position ist nach Darstellung des stellvertretenden Regierungssprechers Herbert Schmülling eine „vermittelnde“. Nach Informationen der taz aus Bonner Regierungs- und Genfer Diplomatenkreisen existiert jedoch derzeit keine gemeinsame Haltung in der christlich-liberalen Koalition: Während Außenminister Klaus Kinkel (FDP) eine China- Resolution befürwortet, ist Kanzler Helmut Kohl (CDU) dagegen.

Am kommenden Sonntag soll der Konflikt Thema bei einem Treffen der EU- Außenminister in den Niederlanden werden. Kann sich die EU nicht einigen, werden möglicherweise die Beneluxstaaten, Schweden, Dänemark und Großbritannien eine eigene China-Resolution einbringen.

Die USA verhalten sich abwartend. Die Clinton-Administration will sich lediglich einem „von den Europäern vorgelegten Resolutionsantrag anschließen“, erklärte Washingtons neuer UNO-Botschafter Richardson gestern in Genf gegenüber Journalisten. Die Frage, warum die Vereinigten Staaten nicht selbst die Initiative ergreifen und eine Resolution vorlegen, beantwortete der Botschafter nicht. Einer seiner Vorgänger übte gegenüber der taz scharfe Kritik an der Haltung seiner Regierung: „Der Scheißkerl Clinton hat nicht für ein Gramm Prinzipientreue.“ Andreas Zumach