Wer spricht da von Einheit?

■ Ist der Prenzlauer Berg ein Laboratorium der Einheit oder ein Ort der Fremdenfeindlichkeit? Während die einen über die Chancen der Einheit redeten, sprachen andere von ihren Folgen

Keine Panik, der Prenzlauer Berg meldet nicht: „Einheit vollzogen!“ Der Prenzlauer Berg meldet: „Einheit in Verzug.“ Wäre ja auch noch schöner, Einheit vollzogen! Worüber noch streiten? Und warum noch zu Diskussionsrunden einladen? Einheit vollzogen? „Das war ironisch gemeint“, entschuldigt Anne Birthler die Losung des ersten Bündnisgrünen-Kneipengesprächs am Donnerstag abend im ostnostalgischen „Café Anker“ in der Stargarder Straße.

Um die Einheit also sollte es gehen. Nicht um die große. Nicht nur um die in Berlin. Vor allem um die in Prenzlauer Berg. Der Prenzlauer Berg, das ist der Ost-West- Gemischtwarenladen. Da muß die alteingesessene Dame ihr kleines Farbengeschäft aufgeben, weil sie die Miete nicht mehr zahlen kann. Der Westen ist schuld.

Da ziehen Herr und Frau Prenzlauer Berg weg, weil das soziale Gefüge nicht mehr stimmt, weil es nicht mehr so schön ist wie früher. Natürlich, die Wessis sind schuld, die Besserverdienenden. Die, die nach der Wende wie Ameisen in den Kiez einfielen, in die sanierten Wohnungen zogen, Kneipen aufmachten, viel zu viele und teuer zudem. Prenzlauer Berg ist auch da, wo sich ein Aktionskomitee gegründet hat, um gegen die Umbenennung des Ernst-Thälmann- Parks zu mobilisieren. Wer das will? Ein großer Teil der Bezirksverordnetenversammmlung, eine Ansammlung Ostler! Und Prenzlauer Berg ist auch da, wo eine Vielzahl Bürger- und Betroffeneninitiativen für den Kiez kämpfen. Wer sich da engagiert? Ostler wie Westler.

Über all das sollte man reden. Mit den Journalisten Klaus Hartung und Stefan Berg beispielsweise. Die Bündnisgrünen aus dem Gemischtwarenladen hatten die beiden zum Gespräch geladen.

Hartung ist Westler, lebt in Kreuzberg und schreibt für die Zeit. Berg ist Ostler, lebt in Prenzlauer Berg und schreibt für den Spiegel. Beide arbeiten für altstämmige Westblätter, die im Osten fast kein Mensch liest. Auch so ein Problem, die Zeitungseinheit. Die Ossis in der Stadt haben ihre Berliner Zeitung und den Kurier, die Wessis die Morgenpost und die BZ und, ja auch, die taz. Berg schreibt über den Osten, wenn das Hamburger Mutterhaus mal wieder etwas aus dem Osten im Blatt haben will. Hartung hört in regelmäßigen Abständen die gleichen Rufe aus seinem Haus, das auch in Hamburg steht.

Wo eigentlich blieb an diesem Abend der Heimatschriftsteller Alexander Osang?

Wie ist das nun mit der Einheit? Klaus Hartung weiß nicht, „inwieweit man überhaupt in Berlin eine Einheit herstellen soll“. Wenn Einheit, dann, bitte schön, die Einheit einer Metropole, die Einheit einer kulturellen Mischung. „Homogenität ist Quatsch“, sagt Hartung. Und Stefan Berg findet: „In Prenzlauer Berg ist die innere Einheit mehr möglich geworden als in den anderen Teilen Berlins.“

Also doch Einheit vollzogen? Marianne Birthler, die bündnisgrüne Powerfrau, kontert: „Ich merke, daß die Feindlichkeit gegenüber den Wessis immer mehr zunimmt.“ Und die junge Frau ganz hinten im Saal spricht von einer starken Wessifeindlichkeit („So hoch wie nie“), von dem Gefühl der Ur-Prenzlauer-Berger, über den Tisch gezogen zu werden und von einem sozialen Pulverfaß. Stefan Berg kann eine gewisse Wessifeindlichkeit nicht leugnen. „Ich glaube, es gibt das Bedürfnis, das Ost-Rückgrat zu stützen, weil viele das Gefühl haben, überrollt zu werden.“ Klaus Hartung nennt dieses Phänomen „Inländerfeindlichkeit“.

Die Stimmung unter den Prenzlauer-Bergern an diesem Abend, nur eine Eckkneipe weiter, ist einfach zu beschreiben: Betuchte Westler kommen in den Kiez, können sich die schick sanierten Wohnungen leisten, wir, die Durchschnittsossis (die Rentner, Vorruheständler und wir, die Arbeitslosen) sind die Verlierer der Einheit.

Alles jammernde Ossis? Alles Meine-Biographie-beginnt- vor-'89-Menschen? Alles PDS- Wähler? Alles Kauft-nur-Ostprodukte-Kunden? Alles Weltzeituhrenfanatiker? Alles Leute mit einem ausgeprägten DDR-Bewußtsein, das nie so stark war wie heute?

„Ich verteidige ein System, das verloren hat, das glücklicherweise zusammengestürzt ist, eben weil die Zeit dieses System auch mein Leben war“, hat Identitätsbewahrer Friedrich Schorlemmer einmal gesagt. „Auch ich spüre, wie ich plötzlich etwas relativiere oder gar verteidige, was ich früher ganz und gar abgelehnt habe. Rückblickend will ich milde werden, weil ich mich mit meinem vergangenen Leben versöhnen und es unter dem Strich nicht für nichtig und vergeblich erklären und meinen damaligen Respekt vor meinen Gegnern nicht nur auf Angst begründet sehen möchte.“ Auch das hat Schorlemmer gesagt.

Marianne Birthler ärgert sich. Vor allem darüber, daß kaum Anerkennung findet, was durch die Einheit gewonnen wurde. Demokratische Strukturen zum Beispiel. „Wer das sagt, wird gleich mit Kohl gleichgesetzt.“ Klaus Hartung erklärt: „Die Einheit steht nicht zur Debatte“ und fügt hinzu: „Der Ost-West-Konflikt lenkt von der Realität ab.“ Jens Rübsam