Sport als Rezept gegen Isolierung

Sportstadt Berlin (Teil 6): Über eine halbe Million Immigranten leben in Berlin. Ob sich die internationalen Bewohner in der Stadt wohl fühlen, hat auch mit dem Sport zu tun  ■ Von Christine Berger

Das Leben in einem Aussiedlerwohnheim ist trist. Kindern bleibt oft nur der Flur zum Spielen. Draußen vor der Tür lauert eine fremde Kultur, die man sich erst erschließen muß. Aber wie? Darja und ihre Freundin Olga wählen das Naheliegende: „Spielplatz“, war eines der ersten Worte, die sie auf deutsch gelernt haben. Seit einem halben Jahr wohnen die beiden sieben und acht Jahre alten Schwestern aus der Ukraine mit ihren Eltern in einem Weddinger Wohnheim. Täglich trotten sie zum nahe gelegenen Zeppelinplatz und turnen auf den Spielgeräten herum. Daß sie dabei Kontakte zu deutschen Kindern bekommen und schon ein bißchen Deutsch gelernt haben, versteht sich von selbst. Neulich haben Tanja und Darja einen Ball mit auf den Platz gebracht, im Nu spielte ein halbes Dutzend Kinder Fußball mit den beiden. Außer deutschen kickten auch polnische und türkische Kinder mit.

Geht es nach den Vorstellungen des Deutschen Sportbunds (DSB), gibt es vor allem ein Rezept gegen die Isolierung, und das heißt Sport. „Sport mit Aussiedlern“, heißt denn auch ein kleines, aber feines Projekt, das der DSB ins Leben gerufen hat. Zwei Sportmobile klappern täglich die 40 Aussiedlerheime in Berlin ab, bauen Hüpfburgen für die Kleinen auf und verleihen Skateboards an die größeren Kids. Ganz uneigennützig ist das Interesse an den Neuankömmlingen natürlich nicht. Bei vielen Sportvereinen sind neue Mitglieder hochwillkommen, und da kommt das Bedürfnis der Aussiedler nach Integration gerade recht. Schließlich lernt man die Deutschen eben immer noch durch das Erleben ihrer Vereinskultur am besten kennen. Daß Vereine, die sich um Aussiedler bemühen, mit Sachmitteln belohnt werden, ist für die organisierten Sportler ein zusätzliches Bonbon.

Nicht immer ist die Überzeugungsarbeit leicht, zumal gerade bei den Frauen oft religiöse Gründe eine sportliche Betätigung vereiteln. Besonders die Arbeit mit den Jugendlichen gestaltet sich schwierig. „Wir kommen immer schlechter an sie ran“, bedauert Jürgen Stein, der Koordinator des DSB-Projekts. Das bloße Anfahren der Aussiedlerheime bringe da gar nichts, denn die älteren Kids hängen überall ab, nur nicht in der Nähe der eigenen Wohnblocks. In Marzahn und Friedrichshain arbeiten die Mitarbeiter des Sportprojekts deshalb mit Streetworkern zusammen. Sind die Kids erst mal gefunden, stoßen Basketbälle, Diabolos und Street-Tennisanlage durchaus auf Interesse. Vom Integrationsgedanken bleibt da allerdings nicht mehr viel übrig, denn in den meisten Fällen sind die Immigranten-Kids unter sich. Da haben es die Kinder eingewanderter Eltern, die in Berlin geboren wurden, einfacher. Gerade in Bezirken wie Kreuzberg und Wedding, wo der Ausländeranteil besonders hoch ist, ist es für viele selbstverständlich, Fußball im deutschen Verein zu spielen. Das geht so weit, daß in Clubs wie „Rapide Wedding e.V.“ oder die „Berliner Amateure e.V.“ mittlerweile mehr Ausländerkinder Sport machen als Deutsche.

Zu verdanken ist dies auch dem Integrationsprojekt des Landessportbunds (LSB), das seit zwanzig Jahren Vereine mit hohem Auländeranteil fördert. „Machten zu Beginn gerade mal 500 Ausländer Sport in Berlin, sind es heute fast 50.000“, sagt Heiner Brandi, stellvertretender Jugendreferent des Sportbunds, nicht ohne Stolz. Ein Fünftel davon seien Kinder, und für die ist das Integrationsprojekt gedacht. Fördermittel in Höhe von 70.000 Mark jährlich fließen an rund 35 Vereine, die sich mit ihrem hohen Ausländeranteil für eine Beihilfe qualifiziert haben. Für besonders honorige Clubs winkt eine weitere Prämie: In diesem Jahr vergibt der Sportbund erstmals seit drei Jahren wieder einen Integrationspreis, der Vereine mit guter pädagogischer und antirassistischer Arbeit belohnen soll.

Obwohl das Sportinteresse von Immigranten stetig wächst, kommen Mädchen und Frauen beim Sport immer noch zu kurz. „Mädchen sind kraß unterrepräsentiert“, bringt es Brandi auf den Punkt. Rollenverständnis und religöse Gründe verhindern oft den Gang in die Turnhalle. Beim deutsch-türkischen Kindertreff in Kreuzberg, ebenfalls einem Sportbundprojekt, werden Mädchen deshalb gezielt gefördert. In einer Freizeitgruppe treffen sich vor allem Türkinnen und Araberinnen, um gemeinsam Volleyball zu spielen oder schwimmen zu gehen. „Die Eltern erlauben es ihren Töchtern, zu uns zu gehen, weil hier keine Jungen sind“, erklärt Mitarbeiterin Michaela Peters.

Auch Tanzen steht bei den elf- bis zwanzigjährigen Mädchen hoch im Kurs. „Das ist dann oft eine Mischung aus Folklore, Bauchtanz und Jazzdance“, sagt Peters. Der Stilmix entspricht am ehestem dem Lebensgefühl der Mädchen. Der Gang ins Schwimmbad ist für viele jedesmal ein kleines Abenteuer. Daß dort auch Jungen und Männer im Wasser plantschen, erzählen nur die wenigsten zu Hause. „Viele Eltern waren noch nie in einem deutschen Schwimmbad. Sie denken, das ist wie im Hammam, Männer und Frauen getrennt“, weiß die Sozialpädagogin.

Doch nicht alle türkischen oder arabischen Eltern handhaben die Erziehung der Mädchen so streng. Im türkischen Sportverein Umutspor gibt es sogar ein weibliches Fußballteam. Außerdem wird für Frauen unter anderem Volleyball und Gymnastik angeboten.

Daß Immigranten den Berliner Sport mit ihren eigenen Traditionen bereichern, zeigt sich nicht nur beim Bauchtanz. So haben beispielsweise US-Soldaten American Football, Base- und Softball in die Stadt gebracht. Trotz Abzug der GIs erfreut sich der Sport großer Beliebtheit. Elf American- Football-Vereine mit so abenteuerlichen Namen wie Berlin Adlers oder Spandau Bulldogs kämpfen mehr oder weniger erfolgreich um das eiförmige Rund.

Das gilt auch für Sportarten wie Boule. Frankophile Spreeathener haben diesen Sport bei ihren Urlauben in der Provence oder der Bretagne lieben gelernt und exportierten ihn kurzerhand in die Heimat. Schnell fanden sich die Anhänger des Kugelsports zusammen, ebneten Bahnen und gründeten – natürlich – Vereine. Die Existenz von vier Boule-Clubs in der Stadt spricht Bände: Längst hat Sport nicht mehr nur mit dem Bedürfnis nach Bewegung zu tun, sondern vor allem mit dem Ausdruck eines bestimmten Lebensstils. Wer Boule spielt, sagt damit gleichzeitig, daß er schon mal über den eigenen Horizont hinaus unterwegs war und das Savoir-vivre der linksrheinischen Nachbarn zu schätzen weiß. Das Gläschen Rouge, getrunken in der Bar am Spielfeldrand, ist dabei so selbstverständlich wie für den Fußballer sein Bier im Vereinslokal.

So sehr deutsche Berliner importierte Spiele wie Boule, Base- oder Streetball mögen, so sehr bevorzugen Immigranten typisch deutsche Sportarten. Unschlagbarer Lieblingssport vor allem männlicher Immigranten ist – ganz deutsch – der Fußball. Gerade bei den jüngeren Kickern ist der Ansturm auf die Vereine mittlerweile so groß, daß die Platzkapazitäten nahezu erschöpft sind. Nicht immer nehmen es die ausländischen Vereine mit deutschen Fußballtugenden wie Disziplin und Moral so genau. So ist der Landesligist FC Jugoslavija ins Gerede gekommen, weil die Fußballmannschaft als Schlägertruppe gilt, die noch jeden Gegner vom Platz geprügelt hat. Insgesamt zehnmal wurde der Club seit Saisonbeginn vor das Sportgericht des Berliner Fußball- Verbands (BFV) geladen. Sollte sich am rüden Gebaren von Fans und Spielern nichts ändern,droht Jugoslavija als erstem Berliner Verein eine Spielsperre.

Dabei ist vor allem das unterschiedliche Spielverständnis von Deutschen und Serben Ursache für den Ärger auf dem Feld. Den Gegner durch verbale Schmähungen zu verunsichern, gehört für Mittelfeldspieler Darko Banovic genauso dazu wie die Manndeckung. Meckern und Provozieren ist für den Serben ein Mittel, um Agressionen loszuwerden. Körperliche Gewalt ist ihm dagegen ein Greuel. Deutsche Fußballer dagegen denken genau umgekehrt. Bei einem Spiel in Wannsee hatte Banovic solange seinen Gegener beleidigt, bis ihn dieser von hinten niedergrätschte. Der Serbe mußte daraufhin mit einem doppelten Beinbruch ins Krankenhaus.

Revanche oder Provokation – fest steht, daß durch derlei Auseinandersetzungen in Berlin ein tiefer Graben zwischen Multikulti- Mannschaften und deutschen Teams entstanden ist. Weil Ausländerclubs wie der FC Jugoslavija als Buhmänner dastehen, sind sie gerade im Ostteil der Stadt nicht mehr sicher. So mußten die überwiegend jüdischen Fußballer des TuS Makkabi beim Spiel gegen den SFC Friedrichshain üble rassistische Sprüche über sich ergehen lassen. „Geht nur unter die Dusche“, brüllten Zuschauer, „wir haben sie schon für euch präpariert.“

Der türkische Sportverein Türkyemspor monierte schon vor drei Jahren, daß Spiele im Jahnstadion in Prenzlauer Berg zu Lasten der Teamstärke gingen. „Wir wollen wieder in Kreuzberg spielen, dann kommen auch die Zuschauer zurück“, ließ Manager Erdal Celik damals verlauten. Genutzt hat es alles nichts. Türkyemspor spielt zwar wieder öfter in Kreuzberg, kickt den Ball aber nun eine Etage tiefer, in der Oberliga.