Romantische Vorstellungen

■ betr.: „Preise, die alle Dimensio nen sprengten“ (Nachruf auf Wil lem de Kooning), taz vom 21.3. 97

Es bleibt überraschend, daß selbst die aufgeklärte taz der überholten romantischen Vorstellung anhängt, daß die Kunst und der Kunsthandel unehrenhaft seien; Künstler haben, so klingt es bei Ulrich Clewing durch, arm zu sein wie van Gogh und wahrscheinlich für ein „Vergelt's Gott“ zu schaffen, aber nicht „nach Brot zu gehen“. Warum aber sollte gerade die Kunst aus dem Gewinnersystem des Kapitalismus herausgenommen werden, wo doch alles „nach dem Golde drängt“? Die Kunst des Willem de Kooning wird dadurch weder besser noch womöglich schlechter, daß er und seine Tochter von den Errungenschaften seines Genies leben und sogar gut leben, solange es Sammler und Museen gibt, die in der Lage sind, diese herrlichen Bilder zu erwerben.

Herr Clewing hätte aber seinen Lesern nicht vorenthalten sollen, daß die späten Bilder aus den 80er Jahren, die schon unter dem Einfluß der Alzheimer-Erkrankung entstanden waren, mitnichten dem Publikum vorenthalten worden sind, sondern in Deutschland 1996 in Bonn (nach San Francisco) ebenso gezeigt worden sind wie noch spätere Bilder in der Ausstellung, die die spanische Kuratorin Maria de Corall über das Spätwerk Picassos, Mirós, Gustons und de Koonings für das Neue Museum Weserburg Bremen (bis 1997) zusammengestellt hatte. Beide Ausstellungen führten ein Werk „unbändiger Energie“ vor Augen, das ohne jeden Zweifel nicht von obskuren Assistenten gemalt worden ist, sondern vom Meister selber. Wer Augen hat zu sehen und die Entwicklung dieses grandiosen Spätwerkes als einen Kampf gegen die Krankheit, das Vergessen und das Vereinsamen anhand seiner malerischen Entwicklung verfolgt, der sieht, daß bis zum endgültigen Abbruch zirka 1988/89 dieser Künstler auf geheimnisvolle Weise trotz der zunehmenden Behinderung in der Lage war, sein Alterswerk zu einem Ende zu bringen, bis das „Bewußt-Sein“ endgültig versagte. Denn die Kunst entsteht im Kopf, der die Hand lenkt. [...] Thomas Deecke, Neues Museum

Weserburg Bremen