Tories und Labour lieben die Familie

■ Großbritanniens Hauptkonkurrenten im Wahlkampf legen ihre Programme vor: Sie wollen ungefähr dasselbe. Die Finanzierung der ambitionierten Wahlversprechen bleibt dagegen ihr Geheimnis

Dublin (taz) – Wie sich die Bilder gleichen: Die britischen Tories und die Labour Party sind für die Familie, versprechen eine wirtschaftlich goldene Zukunft, wollen erbarmungslos gegen das Verbrechen einschreiten und halten sich bedeckt, wenn es um die konkrete Finanzierung ihrer Wahlversprechen geht. Was die WählerInnen davon halten, wird sich in vier Wochen erweisen.

Vorgestern haben die Tories ihr Wahlprogramm vorgelegt, gestern zog Labour nach. „Unser Ziel ist es, Großbritannien zum besten Land zu machen, in dem man leben kann“, schreibt Premierminister John Major in seinem Vorwort. Bis zum Jahr 2020 will er den Lebensstandard der Briten verdoppeln. Bis zu den nächsten Wahlen in fünf Jahren wollen die Tories die Einkommenssteuer auf 20 Prozent und den Höchstsatz auf 40 Prozent senken, neue Jobs schaffen, mehr Geld für Bildung und Gesundheit zur Verfügung stellen und die Staatsausgaben auf unter 40 Prozent des Bruttosozialprodukts herunterfahren.

Weitere Privatisierungen stehen ins Haus, wenn es nach den Tories geht: Neben der Londoner U-Bahn und dem Paketdienst sollen die restlichen kleinen Staatsbetriebe verscherbelt werden – alles alte Hüte. Die einzige Überraschung ist die Steuerermäßigung für Ehepaare, bei denen nur ein Partner arbeitet, weil Kinder oder pflegebedürftige Eltern im Haus sind. Nichtverheiratete gucken in die Röhre, denn „Wir sind für die Ehe, und wir sind für die Familie“, heißt es im Wahlprogramm. Die Familie steht darin an dritter Stelle der meistbenutzten Begriffe. Öfter kommen nur „Europa“ und „Großbritannien“ vor – das eine negativ besetzt, das andere positiv.

Der Labour Party ist das Tory- Wahlprogramm nicht konservativ genug. Gordon Brown, der bei einem Labour-Wahlsieg neuer Schatzkanzler wird, warf den Tories vor, daß sie nicht richtig ausgerechnet hätten, was ihre Wahlversprechungen kosten. Er malt Steuererhöhungen an die Wand, sollten die Tories am 1. Mai gewinnen.

Allerdings geht aus dem Labour-Programm ebensowenig hervor, wie die eigenen Wahlziele finanziert werden sollen: 250.000 neue Arbeitsplätze, Generalüberholung der Gesundheitsversorgung, Verbesserung des Transportwesens zum Schutz der Umwelt. Auch bei der Labour-Partei steht die Familie im Mittelpunkt: „Wir werden die Familie fördern, weil sie die sicherste Einrichtung ist, um unsere Kinder großzuziehen“, heißt es. „Die Familie ist der Kern unserer Gesellschaft.“ Die Alten bleiben bei Labour außen vor: Man drückt sich wieder um die Kostenfrage für Pflegebedürftige.

Pluspunkte will Labour mit einem Gesetz zur Offenlegung der Parteienfinanzierung sammeln. Auf diesem Gebiet haben die Tories in den letzten Jahren dank zahlreicher Korruptionsaffären ein „Schmuddelimage“ erworben. Major ist bei diesem Thema äußerst dünnhäutig. Vorgestern unterbrach er barsch ein Interview mit der Behauptung: „Wenn es einen Anti-Schmuddel-Kandidaten in diesem Land gibt, dann bin ich es.“ Erst einen Tag zuvor hatte er die Kandidatur des ehemaligen Staatssekretärs Neil Hamilton unterstützt, obwohl der in einem Untersuchungsbericht über Korruption schwer belastet wird.

Laut neuester Umfragen hat Labour inzwischen 27 Prozent Vorsprung. Wie sehr die Tories mit dem Rücken zur Wand stehen, zeigt die Tatsache, daß vorgestern das älteste Kriegsbeil in der Parteigeschichte begraben wurde: Der 80jährige Expremier Edward Heath lobte Margaret Thatcher zum erstenmal, seit sie ihn 1975 von der Parteispitze verdrängt hatte. Ralf Sotscheck