„Der richtige Gegenkandidat heißt Oskar Lafontaine“

■ Der Hamburger Parteienforscher Joachim Raschke sieht durch Helmut Kohls Ankündigung die SPD in Zugzwang

taz: Erweist Helmut Kohl seiner Partei mit einer erneuten Kandidatur wirklich einen Dienst?

Joachim Raschke: Die Partei hat nach ihm gerufen, einschließlich der CSU. Jetzt bekommt sie ihn. Die CDU tritt mit einer verschobenen Schlachtordnung an. Sie versucht eine Doppelwahl zu inszenieren, einerseits mit Kohl als Quasipräsident und oberstem Wahlkämpfer, andererseits mit Fraktionschef Schäuble als eigentlichem Regierungschef. Das ist eine neue Variante und nicht von vorneherein aussichtslos.

Kohl hat stark von historischen Zufällen gelebt – 1990 mit der Vereinigung, 1994 mit einem leichten Wirtschaftsaufschwung. Muß er sich jetzt nicht verstärkt ökonomischen Fragen zuwenden, um sein Image aufzupolieren?

Kohl wird weiter versuchen, von der ökonomischen Negativbilanz wegzukommen. Ob das gelingt, ist äußert fraglich, weil mit ähnlich hohen Arbeitslosenzahlen auch 1998 zu rechnen ist. Dann wird nur eine Partei Sieger sein, der wirtschaftliche Kompetenz zugeschrieben wird.

Nun ist es aber so, daß die Wähler nicht Kohl, Schäuble oder gar dem Wirtschaftsminister Kompetenz in dieser Frage zubilligen, sondern den Unternehmern. Das Publikum weiß, daß die Unternehmer mit den bürgerlichen Parteien verbunden sind.

Ist die Kandidatur nicht ein Glücksfall für die Opposition?

Wenn Kohl allein kandidieren würde, wäre es gut für die Opposition. Die frühe Festlegung von Kohl ist schlecht für die SPD, weil es sie zwingt, die Kandidatenfrage vor der Niedersachsenwahl im Frühjahr 1998 zu entscheiden. Ansonsten kommt es zu dem falschen, aber eingängigen Eindruck, die SPD blockiere und kneife. In solch einer Lage könnte sich der Wähler daran gewöhnen, daß die eine Seite weiß, mit welcher Koalition und mit welcher Politik sie das Mandat erneuern will, die andere Seite zwar vielleicht etwas über ihre Politik, aber nichts über ihr Bündnis und ihre Nummer eins.

Ist die Blockade des SPD-Vorsitzenden Lafontaine in der Steuerpolitik nicht der richtige Kurs, um Stärke zu demonstrieren?

Die Chance der Opposition liegt sicher in Sachthemen, auch in der Steuerpolitik. 1998 wird nicht alleine eine sozialpolitische Protestwahl werden. Es stehen sich ja in der Wählerschaft zwei Blöcke gegenüber: Die einen sind für die soziale Asymmetrie, die die Regierung vorantreibt, die anderen strikt dagegen. Dazwischen sind 12 Prozent Wähler, die hin und hergerissen wurden. Möglicherweise reicht es für die Koalition, mit der Aussicht auf ökonomische Besserung für den stärkeren Teil der Gesellschaft die Wahl zu gewinnen.

Bestünde nicht die Chance der Sozialdemokraten darin, mit einem „jugendlichen“ Kandidaten anzutreten?

Die Enkel sind immerhin auch schon ältere Herren, einen strahlenden Mann gegen Kohl kann ich nicht erkennen. Die Chance liegt darin, Kohls Verabschiedung von Sachthemen zu markieren und die Sach- und Machtfrage aus der Opposition heraus zu verbinden.

Was würden Sie der SPD raten?

Eine Ablösung kann nur durch Rot-Grün zustande gebracht werden. Dies muß durch einen Spitzenkandidaten glaubwürdig repräsentiert werden – und der heißt Lafontaine. Interview: Severin Weiland