Kohl macht's noch mal

■ Neue Kanzlerkandidatur für die Wahlen 1998

Adenauers Rekord ist bereits überflügelt, jetzt ist die Amtszeit Bismarcks als „eiserner Kanzler“ im Visier Helmut Kohls. Nach der Ankündigung seiner erneuten Kandidatur droht die Kanzlerschaft Kohls monarchische Dauer anzunehmen. Denn es spricht nicht wenig dafür, daß er den Wahlerfolg von 1994 wiederholen wird. Mit zwei Ausnahmen – 1990, der Einheitswahl, und 1972, der Brandt-Wahl – sind in Deutschland Bundestagswahlen stets unter dem Primat der Ökonomie entschieden worden. Heute sieht es so aus, als ob gerade dieses Primat die Bundesregierung im nächsten Jahr die Mehrheit kosten würde. Aber schon 1994 folgte dem frühen Frohlocken späte Ernüchterung.

Kohl hat den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit zur ersten Regierungsaufgabe erklärt und die Halbierung des Arbeitslosenheers bis zum Jahr 2000 versprochen. Aber daß dieses Ziel verfehlt, dieses Versprechen gebrochen werden wird, vermindert Kohls Chancen nicht. Erst galt die Arbeitslosigkeit von einer, dann zwei, schließlich drei Millionen Beschäftigten als Skandal, als „unerträglich“, wie es im Politikerjargon heißt. Heute ist die Gesellschaft abgestumpft gegenüber dem Fakt der Spaltung in die „Mehrheitsklasse“ einerseits, in die Klasse der prekär oder überhaupt nicht Beschäftigten andererseits. Gemessen daran wird schon ein Lüftchen der Erholung auf dem Arbeitsmarkt ausreichen, um die Wahl zu entscheiden. Hoffnungen in dieser Richtung scheinen begründet. Laut Ifo-Prognose wird die Nachfrage nach Arbeitskräften zum Jahresende 1997 „langsam ansteigen“. Vulgo: Die Rationalisierungswelle ist erst mal abgeschlossen.

Und wie steht es um die Demontage des Sozialstaats? Sie geschieht, wie wir wissen, scheibchenweise, spielt die sozialen Gruppen optimal gegeneinander aus, wird von intensivem ideologischem „Standort Deutschland“-Trommelfeuer begleitet und außerdem vor und während des Wahlkampfs vorübergehend unterbrochen. Alles unter der Generallinie: „Notwendige Opfer für die Sicherheit“. Auf seiten der Opposition ist nichts in Sicht, was dieses scheinhafte Sicherheitsversprechen durchkreuzen könnte. Und nichts, was das zweite Grundbedürfnis in dieser Gesellschaft mobilisieren könnte: den Durst nach Gerechtigkeit. Christian Semler