: Rasante Bewegungsfragmente
■ ChoreografInnen der „Tanzwerft“zu Gast auf Kampnagel Probenausschnitte
Der Prolog gehört der Vergeltung. Rache wegen eines abgelehnten Antrags, wegen Liebeskummer, wegen eines abgelehnten Kredits, wegen Liebeskummer ... Das Gänseblümchenzupfen rund um das gallige Brennen in der Seele gibt dem Herzschmerz den Vortritt. Die Verletzte wälzt sich zu Janis Joplins Empfehlung „Try A Little Bit Harder“auf dem Boden, schleppt sich ab an den eigenen Wunden, strauchelt, steht Kopf, bis das Licht auf ihrer Bühnenhälfte ausgeht und sie die Seiten wechseln muß.
Und so leicht die Rache glüht, so flott verpulvert sie auch. Ein Ringen zwischen Wut, Nachsicht und der Lust, die leidenschaftliche Vergeltung schafft. Am Ende verwandeln sich die „wilden Tiere im Keller“in eine liebreizende Vogelschar. Stina K. Bollmanns Minuten mit R eröffnete am vergangenen Donnerstag die Tanzwerft auf Kampnagel mit einer zwar nicht spektakulären, aber bündigen Kurzchoreographie, der im Laufe des Abends fünf weitere folgten.
In den anschließenden vier Zehn-Minuten-Stücken von Katja Bergmann promeniert die Choreographin und Tänzerin nach einem symbolistisch-pathetischen Solo zu einem getragenen Gustav-Mahler-Gesang zusammen mit Petra Schellmann durch Geschichten vom Erinnern, von glücklich durchgehüpften Kindertagen bis zum großen schwarzen Vogel. Der Adler ist wunderschön getanzt, doch bricht das Ganze mit dem Musikeinsatz zu schwülem Jungmädchen-Symbolismus ein. In Das Duell, in dem sich eine Frau die Zuwendung ihres totenstarren Mannes herbeitanzen möchte, findet Katja Bergmann zu dem, was ihr inszenatorisch scheinbar am meisten liegt. Und so beweist sie ein gutes Timing für pointierte Rasanz, Patzigkeit, Wut und Wehmut.
Mit dem Contact 17-Duo Stina K. Bollmann (Tanz) und der behinderten E-Rolli-Fahrerin Sandra v. Döhren endete die Tanzwerft mit einem seltsamen Gemisch aus Verstörung, Mißlingen und Mut. Das „persönlich motivierte Tanzstück“von Stina Bollmann exerziert Bewegung und Statik, Körper und Schatten sowie das relative Changieren von Stärke und Schwäche.
Nicht immer reichen die Möglichkeiten der beiden dabei über die Ästhetik einer erweiterten Bewegungstherapie hinaus. Und trotz spannender, ungemein liebevoller Momente, wie dem, in dem Bollmann mokant ins Mikro klagt: „Ich racker mich ab, und du bekommst den ganzen Applaus“, muß sich das Publikum am Ende ehrlich fragen, ob es dem guten Werk lebhaft applaudiert, den gebotenen körperlichen Anstrengungen oder bloß die eigene Irritation übertönen will.
Birgit Glombitza
Noch heute und morgen, 19.30 Uhr, Kampnagel, k1
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