Irgendwie eigentlich deutsch

■ Jüdisch-russisch-deutsche Familie fällt durch alle Behördenraster: Sie wollten nach Deutsch-land, wurden aber nach Israel geschickt. Und jetzt sind sie in Deutschland unerwünscht

„Eine deutsche Familie soll abgeschoben werden“. Mit diesem Hilferuf alarmiert ein Bremer jetzt die Öffentlichkeit – und präsentiert eine für deutsche Ohren abenteuerliche Geschichte von der Emigration eines Aussiedlerpaares nach Bremen. Doch jetzt droht ein trauriger Ausgang: Das deutschstämmige Ehepaar Gaisinski, Mann und Frau in der ehemaligen Sowjetunion geboren, soll bis zum 15. Mai wieder verschwinden – keine fünf Monate nach der Ankunft in Bremen. So will es das Ausländeramt.

Die Gaisinskis sind über diese jüngste Nachricht schockiert. Erst im Februar sind sie doch nach Bremen gekommen, ihren vermeintlichen Glücksbringer in der Tasche: Nach über acht Jahren des Wartens hatten sie den Aufnahmebescheid des Bundesverwaltungsamtes im Januar endlich erhalten. Gleich am nächsten Tag buchten sie den Flug nach Deutschland. Es schien, als sei die erste Hürde für Einreise und spätere Einbürgerung geschafft. Doch die deutschen Behörden sehen das anders.

Daß die Gaisinskis deutscher Volkszugehörigkeit sind, wie viele ihrer Verwandten, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland eingewandert sind, daran hat zwar niemand Zweifel. Im Gegenteil. Doch als Deutsche sollen Anna und Boris Gaisinski hier trotzdem nicht leben dürfen. Denn die beiden haben einen schweren Fehler begangen. „Sie sind mittlerweile israelische Staatsbürger. Sie sind mit israelischen Pässen und ohne Visum eingereist“, sagt der Leiter des Bremer Ausländeramtes, Dieter Trappmann. Für solche quasi volksdeutschen Israelis aber hat das Bundesvertriebenengesetz keine Aufnahme vorgesehen.

Moshes Adler gerät darüber in Rage. „Schikane“, sagt er. „Denn es hat doch niemand Zweifel daran, daß die Gaisinskis deutsche Volkszugehörige sind.“Daß die fünfköpfige Familie in den letzten sechs Jahren in Israel gelebt hat, ist nach seiner Ansicht vor allem eines: Ein großes Versehen.

Das Verhängnis der Gaisinskis soll 1990 begonnen haben, berichtet die Familie heute. Ein Jahr nachdem Anna Gaisinski, geborene Schulz, die Einreise nach Deutschland beantragt hatte, sei die ausreisebereite Familie Opfer von Überfällen und Plünderungen ihrer Wohnung geworden. Fast täglich seien sie daraufhin zum Moskauer „Ausreise- und Visumbüro“gegangen, um den Stand ihres Verfahrens zu erfragen. Dann, eines Tages, habe es geheißen, sie könnten über Rumänien ausreisen. „Vom Ausreisebüro war uns nur diese eine Möglichkeit gegeben worden“, haben Anna und Boris Gaisinski niedergeschrieben. Sie hätten daraufhin angenommen, ihre Ausreise nach Deutschland von Bukarest aus weiter betreiben zu können. Doch Fehlanzeige.

„Die Familie wurde dort mehrere Tage von Sicherheitskräften bewacht, dann in ein Hotel gebracht, später flog sie nach Israel aus“, schildert ihr Bremer Freund Moshes Adler die Ausreise der Familie heute als eine mittlere Entführung. Adler beteuert dabei: „Keiner der Gaisinskis hat jemals einen Ausreiseantrag nach Israel gestellt.“Boris Gaisinski selbst, in dessen damaligen sowjetischen Papieren unter „Nationaliät“„Jude“eingetragen war, bekennt sich nicht zum jüdischen Glauben. Dennoch habe die Familie keine Chance gehabt, aus Israel wegzukommen: „Dort läßt man die russischen Immigranten doch nicht gleich wieder ausreisen“, sagt Moshes Adler.

Der Darstellung des Bremer Ausländeramtes, daß die Gaisinskis Israelis seien, widerspricht Adler aber heftig: „Die Familie hat zwar israelische Pässe. Natürlich. Was denn sonst, ihre sowjetischen Papiere waren ihnen doch abgenommen worden.“Und ohne Paß wären die Gaisinskis doch wohl kaum über die Grenze gekommen, schimpft er. Doch die Familie habe sich nicht zur israelischen Staatsangehörigkeit bekannt: „Sie haben die Pässe nicht unterschrieben.“

Letzteres kann Moshes Adler belegen – mit Kopien und einer beglaubigten Übersetzung der Dokumente. Dort steht bei Unterschrift des Inhabers: Kein Eintrag. Dafür gebe es nur einen Grund: „Anna und Boris Gaisinski wären mit ungültigen Papieren doch sofort abgeschoben worden“, sagt Adler. Allerdings haben die Gaisinskis die Pässe mittlerweile unterschrieben, denn: „Stellen Sie sich vor, die wären damit zur Ausländerbehörde gegangen und hätten so eine Aufenthaltserlaubnis beantragt.“

Der Sprecher der israelischen Botschaft in Bonn bestätigt, daß der Paß erst mit der Unterschrift des Inhabers gültig wird. Auch halte er die Ausreise der Familie mit nicht unterschriebenen Dokumenten für denkbar: „Wir sind doch alle Menschen und die machen Fehler“, sagt Amnon Noy gelassen. Daß das Ehepaar Gaisinskis nach der Einreise nach Israel die dortige Staatsbürgerschaft erhielt, sei – anders als im Bremer Ausländeramt angenommen – wohl mehr oder weniger automatisch erfolgt, schätzt er. Die Voraussetzung dafür könnte Boris' jüdische Herkunft gewesen sein. Die Schilderungen der Einreiseumstände des ehemals russischen Paares nach Israel kommentiert er so: „In Rußland kann man sich an einiges gewöhnen.“

ede