Das Tosen der Metaphern

Mitte nächster Woche erscheint „mare“ – ein Magazin über das Meer, geschrieben von wehmütigen Männern mit dem unbedingten Willen zur bedeutungsschweren Interpunktion  ■ Von Oliver Gehrs

Was macht eigentlich ein Schweizer, der das Meer liebt? Kleine Schweizer steigen wahrscheinlich in die Badewanne, größere springen in die diversen Seen, von denen es hinter den Alpen ja genug gibt. Was aber, wenn der Genfer See durchtaucht, der Zuger durchschwommen und der Vierwaldstädter besegelt ist? Dann geht man am besten dorthin, wo man die Schweiz nur vom Hörensagen kennt.

Neuschottland ist so ein Ort. Dorthin verschlug es Nikolaus Gelpke auf seiner Suche nach dem Meer. Im rauhen Wasser vor der kanadischen Küste arbeitete er als Taucher für Forellen- und Austernfarmen, reparierte in der Tiefe Käfige und befestigte die Reusen am Meeresgrund, bevor sie das anrückende Eis zermahlen konnte. Auch nach seiner Rückkehr nach Europa blieb der Schweizer dem Meer treu. Er nahm an wissenschaftlichen Expeditionen teil, leitete den Bereich „Meer“ beim Magazin Ökozid und segelte in seiner Freizeit über den halben Atlantik. Irgendwo zwischen den Azoren und dem Kieler Institut für Meereskunde muß ihm dann die Idee mit der Zeitschrift gekommen sein – „so eine Art Geo fürs Meer“.

Drei Jahre ist das her, und inzwischen ist aus Gelpkes Tagtraum Realität geworden. Mit einer zehnköpfigen Redaktionsmannschaft hat er ein Konzept ersonnen, den Dreiviertel Verlag gegründet („weil dreiviertel der Erdoberfläche von Wasser bedeckt sind“) und diverse Geldgeber für sein Projekt gefunden, deren Identität er lieber verschweigt – „damit kein Neid aufkommt“. Das Branchenblatt w&v wußte zumindest, daß der alte Springer-Admiral Peter Tamm nicht zu den geheimnisumwitterten Reemtsmas der Meere gehört.

„Schon der erste Blick in mare, ein feuilletonistisches Magazin ungewohnten Stils, zeigt Ihnen, wie vielfältig unsere Beziehungen zum Meer sind“, behauptet Chefredakteur Gelpke im Editorial – einer Mischung aus Taucherballade und Plädoyer für eine Rückkehr in die Ursuppe: „Tauchen Sie mit uns ein in die Welt der Ozeane, lassen sie sich treiben von mare.“ Wie viele sich da mittreiben lassen, wird sich spätestens nächste Woche zeigen. Mit einer Startauflage von 50.000 Exemplaren geht die „Zeitschrift der Meere“ an die Kioske, 14 Mark soll sie kosten und alle zwei Monate erscheinen.

Schon einmal hat sich ein Verlag mit einer Zeitschrift nur dem Meer gewidmet – doch das österreichische Aquatika („der blaue Planet“), das auch in Deutschland erschien, ging nach wenigen Ausgaben im letzten Herbst baden. Trotzdem ist Gelpke optimistisch: „Unser Atem reicht mindestens für zwei Jahre“, sagt der Chefredakteur mit der Sturmfrisur, und tatsächlich fällt es schwer, in seinem Büro nicht an die Anziehungskraft des Meeres zu glauben. Am Fenster ziehen Schiffe vorbei wie andernorts die Tauben und hinter sich weiß Gelpke den schweren, alten Tresor, in dem früher die Lohntüten für die Hafenarbeiter lagen. In so einem Ambiente läßt sich gut über den „Genuß am zurückgelehnten Lesen“ philosophieren, und man wünscht dem 34jährigen Meeresökologen, daß er recht behält, mit seinem Konzept von einer Zeitschrift, die sich dem Trend zum Glatten und Bunten entzieht. Die nicht im Bermudadreieck von Segelwoche, Natur und P.M. versinkt, sondern ihren festen Platz auf den Theken des Buchhandels erobert. „Gleich zwischen Kursbuch und Du.

Ein Anspruch, dem nicht nur die Texte und Bilder genügen sollen. Schon mit seiner Öko-Fibel „Un-Endliches Meer - Zerstörung der Weltmeere“ hatte Nikolaus Gelpke nicht nur sein Faible für feuchte Themen dokumentiert, sondern auch den unbedingten Willen zur bedeutungschweren Interpunktion, dem auch der erste mare-Cover zum Opfer fiel: „Transatlantik – Losfahren und Ankommen. Der Ozean“, steht quer über dem Bild einer nächtlichen Ankunft im Hafen von New York. Das läßt viel Raum für freies Assoziieren und erinnert praktischerweise noch an das gleichnamige Reportage-Magazin, das die Buchhalter vom Spiegel-Verlag vor nunmehr sechs Jahren so schnöde einstellten.

„Natürlich wollen wir auch die Tradition der Reportage neu beleben“, sagt Chefredakteur Gelpke, der sich für dieses Vorhaben einige illustre Autoren an Bord geholt hat. Darunter Kischpreisträger Alexander Smoltczyk, von dem eine nette kleine Geschichte über das Austernschlürfen in Paris stammt, und der Fotograf Rolf Nobel, der die „Kumpel des Meeres“ – die sogenannten seacoaler – im Nordosten Englands besucht hat. Ein reich bebildertes Logbuch ist so entstanden, voll mit Erzählungen wehmütiger Männer, die wohl gern Abenteurer wären, aber nur Journalisten sind. Ein Schmankerl für Menschen mit FAZ-Abo, Ohrensessel und einer Schwäche für steife Brisen.

Doch auch journalistisch ist das Meer nur schwer zu bezwingen. Daß z.B. ausgerechnet die käsigen Hühnerbeine von Thomas Mann als Kronzeugen für das Beachlife der 20er Jahre herhalten müssen, ist nicht sehr originell, schließlich gab es genug andere Schriftsteller, die aus nachvollziehbaren Gründen aus Deutschland flohen, und eine kalifornische Sommerfrische dem Moskauer Exil vorzogen.

Auch sprachlich gibt es manchen Wellenritt, denn irgendwann wird selbst die Sehnsucht redundant – zumal auch im Wasser die Metaphern begrenzt sind: Zuweilen tosen die Massen, schäumen die Kronen und perlen die Blasen so arg, daß einem schon beim bloßen Lesen ganz schummrig wird.

Als Rettungsinseln in der feuilletonistischen Flut seien die Berichte aus dem Abseits von Nautik und Meereskunde empfohlen: Von der mysteriösen Wanderung der Süßwasseraale z.B. oder den Tankern, in deren Ballastwasser bedrohliche Kleinstorganismen über die Ozeane schippern. Und solange man noch weiß, daß alten Kähnen bis zu hundert Tonnen Muscheln am Rumpf kleben, kann einem eigentlich nichts passieren.