Ein echtes Horrorbild der politischen Verhältnisse

■ Verbindungen zwischen Politik, Mafia und Polizei in der Türkei jetzt amtlich

Istanbul (taz) – Er könne nicht von sich behaupten, daß er ein ruhiges Gewissen habe, sagte der Abgeordnete Mehmet Elkatmis, als er der Presse gestern die Ergebnisse eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses präsentierte. Elkatmis ist der Vorsitzende des Ausschusses, der die Verbindungen von Politik, Mafia und Polizei offenlegen sollte. Zu viel sei im dunkeln geblieben, sagte er.

Nichtsdestotrotz gleicht das, was der Untersuchungsausschuß herausbrachte, einem Horrorbild. In Rauschgiftgeschäfte involvierte kriminelle Banden verfügen über beste Beziehungen zu Politikern und Sicherheitsbeamten, die die dreckigen Geschäfte decken. Elkatmis: „Das Schwarzgeld, das reingewaschen wurde, übersteigt den Etat des türkischen Staates.“ Mitglieder faschistischer Schlägertrupps, die mit Haftbefehl gesucht wurden, seien vom Staat mit Pässen und Waffen ausgestattet worden, um „Operationen“, gemeint sind politische Morde, durchzuführen. Personen, die in Geheimdienstberichten als Mafiamitglieder genannt werden, seien auf Ministerposten gehievt worden.

Zwei Politiker, beide Gefolgsleute der türkischen Außenministerin Tansu Çiller, werden nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts einen schweren Stand haben: der ehemalige Innenminister Mehmet Agar und der Abgeordnete Sedat Bucak, ein kurdischer Stammesführer, der in seiner Heimatstadt Siverek eine Privatarmee gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) unterhält. „Ihre Immunität muß aufgehoben werden“, so der Kommissionsvorsitzende Elkatmis.

Auslöser für den Untersuchungsausschuß im Dreieck Politik-Polizei-Mafia war ein Verkehrsunfall Anfang November nahe der ägäischen Stadt Susurluk, als ein gepanzerter Mercedes- Benz 600 auf einen Lkw prallte. In der Limousine befanden sich der wegen mehrfachen Mordes und Heroinhandels gesuchte faschistische Attentäter Abdullah Catli, der Polizeifunktionär Hüseyin Kocadag, der Abgeordnete Sedat Bucak und die einstige Miss Türkei, Gonca Us. Nur der Abgeordnete Bucak überlebte. Das Wochenende zuvor hatten die vier in Kusadasi in einem Hotel verbracht, wo auch Innenminister Mehmet Agar weilte. Attentäter Catli verfügte über Waffenscheine, einen Diplomatenpaß und einen Polizeiausweis, ausgestellt von Innenminister Agar. In der Benz-Limousine wurden Schußwaffen mit Schalldämpfern sichergestellt.

Noch vor Abschluß der parlamentarischen Untersuchungen hatte das Staatssicherheitsgericht Istanbul Anklage gegen hohe Polizisten und Bürokraten wegen „Bildung einer kriminellen Organisation“ erhoben. Nach Aufassung des Gerichts befanden sich die Insassen der Limousine auf dem Weg zu einem Attentat. Innenminister Mehmet Agar habe die Bande gedeckt. Das Parlament muß jetzt über die Aufhebung der Immunität der beiden Politiker entscheiden. Der islamistische Ministerpräsident Necmettin Erbakan hatte mit Rücksicht auf seine Koalitionspartnerin Tansu Çiller die Abstimmung im Parlament über die Aufhebung der Immunität hinausgezögert. Nach Auffassung der oppositionellen Abgeordneten im Untersuchungsausschuß ist Çiller schwer belastet. Nach dem Verkehrsunfall verteidigte sie den Attentäter Catli („Jeder, der für dieses Vaterland eine Kugel abfeuert, ist ein Held“) und stellte sich hinter Innenminister Agar. Seinen Rücktritt verhindern konnte sie allerdings nicht. „Wenn ich Çiller wäre, hätte ich vor dem Ausschuß ausgesagt“, erklärte der Vorsitzende Elkatmis. Doch wenn Politiker in die Enge getrieben würden – so Elkatmis –, zögen sie sich auf „Staatsgeheimnisse“ zurück. Ömer Erzeren