■ Ökolumne
: Ablaßhandel Von Till Bastian

Wir Deutschen sind ja in vielem Spitze. Zum Beispiel sind wir immer noch und eindeutig Reiseweltmeister. Kein Landstrich zwischen den traurigen Tropen und den abschmelzenden Eiskappen der Pole, der nicht von den erlebnishungrigen und zahlungskräftigen Teutonen massenhaft heimgesucht würde. Daß Mobilität unserer Umwelt durchaus zum Schaden gereicht, ist zwar nicht unbekannt, zeitigt aber keine Folgen, auch bei jenen Mitbürgern nicht, die stolz sind auf ihr „ökologisches Problembewußtsein“, auf den Einkauf im Bioladen und den Komposthaufen im Garten. „Touristen“ sind immer nur die anderen ...

Wir Deutschen haben freilich auch unsere guten Seiten. So sind wir auch, und darauf sind wir stolz, die Weltmeister im Recycling – korrekt gesagt: in der stofflichen Wiederverwertung. Mit gewaltigem Eifer sammeln wir Altglas, Altpapier, Kronkorken, Blechdosen, Plastiktüten und anderes mehr, sortieren unseren Müll, bringen alles brav zu Wertstoffhöfen und füllen es dort in die oft nur noch schwer überschaubare Vielzahl entsprechender Großbehälter. Diese Prozedur kommt unserer deutschen Ordnungsliebe sehr entgegen und entlastet auch den Seelenhaushalt: Es ist ja nicht unsere Schuld, wenn alles hinterher doch wieder in derselben Anlage „thermisch verwertet“ wird, anstatt, wie in der Werbung für das „Duale System“ oft und anmutig dargestellt, aus Plastikabfällen reizende Parkbänke herzustellen. Wir haben entsorgt.

Man mißverstehe mich jetzt bitte nicht als Zyniker. Gewiß ist es besser, eine leere Weinflasche in den Altglascontainer zu werfen als sie ins Gelände zu schmeißen (noch besser wäre vermutlich, Wein aus Pfandflaschen zu trinken). Aber trotz solcher löblichen Partialtugenden kann ich mich des Verdachtes nicht erwehren, daß der deutsche Recyclingfanatismus in seiner Gesamtheit auch Züge eines tiefgreifenden Ablenkungsmanövers trägt, daß er quasi eine Art moderner Ablaßhandel ist, mit dem wir uns von allen anderen ökologischen Sünden reinwaschen wollen: Seht her, wir tun doch so viel für die Umwelt!

Es ist eben doch sehr auffällig, wie wenige aus der großen Schar eifrigst an die Mülltrennung hingegebener MitbürgerInnen sich nicht die Frage stellen, wie viel Müll gar nicht erst entstehen (und sortiert werden) müßte, wenn wir bloß längerlebige und reparaturfähige Produkte hätten, wozu wiederum entsprechende Konsumentennachfrage sehr viel beitragen könnte. Oder wenn auf bestimmte den exzessiven „Stoffumsatz“ überhaupt erst notwenig machende „Produktlinien“ von vornherein verzichtet würde. Praktisches Beispiel: Ich kann die Batterien meiner Quarzuhr in den entsprechenden Recyclingcontainer werfen. Ich kann, umweltbewußt, meinen Nachttischwecker mit wiederaufladbaren Batterien betreiben. Ich kann mir sogar eine Solaruhr kaufen (deren Kollektor allerdings auch nach einer bestimmten Zeit erneuert werden muß). Oder ich könnte auf eine Uhr mit Handaufzug zurückgreifen – was freilich ein Minimalmaß an Muskelarbeit erfordert, aber dafür alle Wegwerf-, Recycling- und Wiederaufladeprobleme mit einem Schlag beseitigt. Und daß der Handaufzug die Lebensqualität beeinträchtigt, kann man wohl kaum behaupten.

Der deutsche Wiederverwertungswahn ist ein Irrweg, ist zugleich ein sozialpsychologischer „Abwehrmechanismus“: er schützt davor, die eigentlich bedeutsamen Fragen zu stellen. Denn wir tun ja etwas für die Umwelt, und ergo, so wähnen wir, wird alles gut enden. Diese Selbsttäuschung erinnert indes stark an den – real existierenden – Werbeslogan „Zwölfzylinder, schadstoffarm“. Sich diese groteske Kennzeichnung zum Titel wählend, hatte schon vor Zeiten Jürgen Dahl die Verschwendungswirtschaft unserer gegenwärtigen Lebensweise in den reichen Industrienationen der Nordhalbkugel, zugleich aber auch das trügerische Bemühen um angebliche Umweltschutzmaßnahmen treffend gebrandmarkt. Aus dieser Perspektive hat das Bemühen um ein verantwortungsvolles individuelles Verhalten etwas Rührendes an sich. Wie Dahl spöttisch meint, ist auch hier nur ein kurzer Schritt vom Erhabenen bis zum Grotesken: „In einer Welt, in der zur Herstellung eines Autos nicht weniger als 400.000 Liter Wasser gebraucht werden, ist es lächerlich, die Leute zu ermahnen, sie sollten das Eierwasser zum Blumengießen verwenden, um Wasser zu sparen ...“