„Die SPD hält das nicht durch“

■ Jürgen Trittin, Vorstandssprecher der Grünen, glaubt, daß die Sozialdemokraten bald ihren Kanzlerkandidaten benennen müssen

taz: Welche Auswirkungen hat die jetzige Bekanntgabe der Kanzlerkandidatur von Helmut Kohl auf die Situation der Oppositionsparteien?

Jürgen Trittin: Für die Grünen bedeutet es, daß nun feststeht, wer der politische Gegner ist und daß es jemand ist, an dem der Makel der Verantwortung für die höchste Arbeitslosigkeit seit Gründung der Bundesrepublik unübersehbar hängt. Für die SPD wird das vor allem die Folge haben, daß sie zwei Dinge unmittelbar klären muß: Sie kommt nicht mit einer reinen Neinhaltung durch, sondern muß zu Schlüsselfragen wie der Steuerreform eigene Positionen entwickeln. Das ist auch für die Grünen gut, weil unsere Konzepte einfach besser sind als die der Sozialdemokraten. Wir werden einen Wahlkampf der Konfrontation mit dem neoliberalen Regierungslager und der Konkurrenz mit der SPD führen. Und außerdem muß die SPD jetzt schnell ihre personelle Alternative zu Kohl benennen.

Warum kann die SPD Ihrer Ansicht nach nicht wie angekündigt bis zum nächsten Frühjahr warten, bis sie ihren Kandidaten benennt?

Sie wird den Druck nicht lange aushalten. Darauf läuft das hinaus. Wohlgemerkt, ich fordere das nicht, ich stelle das nur fest. Mir ist das egal, die können das auch lassen. Aber sie werden das nicht durchhalten. Ich gebe ihnen höchstens bis nach der Sommerpause mit dem entsprechenden Sommertheater.

Sie haben einmal erklärt, Ihnen wäre ein SPD-Kandidat Schröder lieber als Lafontaine. Hätte der niedersächsische Ministerpräsident denn vor den Wahlen in seinem Land nächstes Jahr irgendeine Chance, gekürt zu werden?

Das habe ich vor einem Jahr gesagt. Inzwischen hat sich in der SPD viel geändert. Die Entscheidung über die Kandidatenfrage liegt bei der SPD, nicht bei den Grünen. Ein Kandidat der SPD, wer immer es ist, muß für die Sozialdemokraten zwei Bedingungen erfüllen: Er muß den eigenen Laden motivieren, für ihn Wahlkampf zu machen, und er muß möglichst viele Stammwähler und Wechselwähler an die Urnen bringen.

Glauben Sie, ein Regierungswechsel wird mit einem Kandidaten Kohl leichter oder schwerer herbeizuführen sein, als das mit einem Kandidaten Schäuble der Fall gewesen wäre?

Ich glaube, daß es mit Kohl insgesamt leichter wird, die Regierung abzulösen, weil die Menschen diese Form des Aussitzens, der Bräsigkeit und der Arroganz leid sind und weil sie ihn tatsächlich mit den Problemen identifizieren, die ihnen auf der Seele liegen.

Wenn Sie sich für einen Augenblick in die Ihnen sicher fremde Rolle des Beraters von Helmut Kohl hineinversetzen: Hätten Sie ihm zur neuerlichen Kandidatur geraten?

Er hatte keine Wahl. Den Abschluß der EU-Regierungskonferenz in Amsterdam und die Nato- Osterweiterung kann er als deutscher Regierungschef nur gestaltend mitbestimmen, wenn er dort nicht als Kanzler auf Abruf auftritt. Vor diesem Hintergrund sah er natürlich einen Teil seines Lebenswerks in Frage gestellt. Ihm blieb nichts anderes übrig.

Mich hat die Entscheidung nicht überrascht, und ich habe die ganzen Aufgeregtheiten vorher nicht verstanden. Interview: Bettina Gaus