Hamburg – das Detroit der Solarmobile

Der Stadtstaat könnte zum Produktionszentrum von E-Mobilen werden  ■ Von Florian Marten

Hamburg im April 1997: Blechbüchsen verstopfen Gehsteige und Straßenränder. Auf den Straßen wälzen sich tonnenschwere Lärmmaschinen, um mit schier unglaublicher Ineffizienz Menschen von einem Ort zum andern zu befördern. Allein der Aufwand an Primärenergie ist aberwitzig: Maschinen mit einem Leergewicht von über 1000 Kilo befördern oft nur 75 Kilo Nutzlast. Nur ein Bruchteil der im Treibstoff gespeicherten fossilen Energie verwandelt sich in Fortbewegung – der Rest verwandelt sich in Hitze und Lärm.

Hamburg im April 2001: In den neuartigen Produktionshallen der Öko-Tech-Auto AG in Hamburg-Altenwerder herrscht reges Leben. Die fünfköpfigen Produktionsteams fertigen jene seltsamen Kunstharzeier auf Alurahmen, die seit November 2000 in der internationalen Automobilindustrie für heftige Aufregung sorgen. Ein kluges Vorabmarketing stellt den Absatz von zunächst 50.000 „Hanseblitzen“in weltweit 17 Metropolen sicher. Mit Hilfe dieses Marketings sind Versuche der Alt-Autoindustrie, den Newcomer erst gar nicht hochkommen zu lassen, schon im Keim erstickt worden.

Ein Traum von Technik-Freaks, die ausnahmsweise mal nicht mit dem Transrapid, sondern mit Elektro-Autos spielen wollen? Tatsächlich finden sich in der feinen kleinen Hamburger E-Mobil-Szene jede Menge bastel- und spielfreudiger Männer. Doch ausnahmsweise haben diese großen Jungs tatsächlich ein Spielzeug in den Händen, das den heutigen Stadtverkehr revolutionieren könnte. Schon mit heute verfügbaren Technologien ließe sich ein Stadt-Auto-System (siehe Kasten) etablieren, das alle Vorzüge eines herkömmlichen PKW bietet und zugleich fast all seine Nachteile vermeidet. Die Automobilindustrie interessiert das wenig: Sie hält am bewährten Fünfsitzer fest, an aufwendiger Crashfähigkeit und überzogenen Hochgeschwindigkeiten. Selbst Greenpeace manifestiert diesen Sackgassenkurs mit ihrer Kampagne für ein Drei-Liter-Auto.

Dabei sind E-Mobile den Autos mit Explosionsmotor weit überlegen. Als konsequente Leichtfahrzeuge, die ihren Strom durch dezentral installierte Solarenergie beziehen, sind sie nicht nur lärm- und abgasfrei, sondern auch in der Gesamtenergiebilanz, die Herstellung und Recycling mitberücksichtigt, deutlich sparsamer im Umgang mit den Ressourcen. Auch in Sachen Unfallsicherheit sind Leichtfahrzeuge besser als die herkömmlichen Autos: Weil sie leichter sind und mit geringeren Geschwindigkeiten fahren, nehmen Unfallhäufigkeit und -schwere deutlich ab. Weil sie zudem billiger sind und den Stadtverkehr flüssiger machen, sind sie sogar betriebs- und volkswirtschaftlich den herkömmlichen Autos überlegen.

Ein potentes Untermehmenskonsortium könnte diese Vorteile durchaus in ein marktfähiges Produkt umsetzen, müßte ein entsprechendes E-Mobil für den Stadtverkehr anschließend jedoch gegen den erbitterten Widerstand der Automobilkonzerne durchsetzen. Ohne staatliche Unterstützung ist das kaum möglich. Hier könnte Hamburg endlich einmal in die Zukunft investieren. Plausible Gründe für einen E-Mobil-Standort in der Hansestadt gibt es zur Genüge:

Ohne einen ansässigen Automobilproduzenten ist der Stadtstaat, im Gegensatz zum VW-hörigen Niedersachsen, wirtschaftspolitisch nicht erpreßbar. Im Gegenteil: Die wirtschaftspolitische Perspektive, Geburtsstadt einer Zukunftsindustrie zu sein, müßte auch Hamburgs Banken- und Unternehmerwelt begeistern können. Mittel der städtischen Technologiestiftung, ein gemeinsam von Landesbank, Haspa und Vereins- und Westbank aufgelegter Risikokapitalfonds und das übliche Standardsubventionsverfahren für industrielle Neuansiedlungen könnten zu einem überaus attraktiven Paket geschnürt werden. Zusätzlich könnten die HEW gewonnen werden, die ein ganz massives Interesse am Umstieg von Benzin auf Strom als Autoantrieb haben.

Diese Mixtur aus öffentlicher Förderung, Bankengeld und Stromkonzern-Interesse müßte sich lediglich um einen unternehmerischen Konsortialführer kümmern, der aus dem Lager der Elektro- oder Kunststoffproduzenten kommen könnte. In Ostdeutschland und Osteuropa gibt es eine Vielzahl geeigneter Kandidaten dafür. Selbst das benötigte Basis-Know-how für das Auto der Zukunft ist derzeit überaus preiswert. Seit dem Bankrott der Hotzenblitz-Mobile Thüringen GmbH in Suhl, der schlicht das Geld zum Übergang von der Vorserie zur Massenproduktion fehlte, wartet Hotzenblitz-Erfinder Thomas Albienz auf ein Angebot. Sein Fahrzeug gilt in Fachkreisen als eines der besten und innovativsten Leichtbau-E-Mobile. Albienz fehlte neben Geld vor allem ein Partner mit Erfahrung in industrieller Produktion.

Noch ist ernsthafte Konkurrenz nicht in Sicht, da die Fahrzeugkonzepte für E-Mobile bislang von Garagentüftlern oder etablierten Automobilkonzernen stammen. Lange freilich dürfte Hamburg mit einem derartigen Industrialisierungsprojekt nicht warten. Die technologischen Fortschritte in Steuerungselektronik, Batterietechnik und Leichtbau sind derart weit gediehen, daß sich zwangsläufig schon bald ein unabhängiger Unternehmer finden dürfte, der die etablierte Autoindustrie herausfordert.