■ Die Botschaft der Marlboro-Project-Film-Erlebnis-Nacht
: Rauchen im Feldbett

Lang ist die Liste der Irrtümer über das Marketingwesen. Eine erste unangenehme Wahrheit für Werbekritiker lautet: Marlboro- Country gibt es wirklich. Das sagt Oliver, und Oliver muß es wissen, denn er ist Marketingmensch bei Philip Morris. Oliver besiegelt das Ende eines langgehegten Vorurteils: Marketingmenschen finden ihre Produkte nicht nur für Geld gut.

Im Irrtum befindet sich auch eine von Phil Morris beauftragte Agentur, die meint, die Marlboro- Project-Film-Erlebnis-Nacht sei ein kreatives Event der Superlative in der Spree-Metropole. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Pfadfinderlager in Berlin. Im wirklichen Leben sind die meisten PfadfinderInnen StudentInnen, die nun das kreative Abenteuer gewagt haben. Ein Wochenende lang schlafen sie gemeinsam auf Feldbetten in einem Schlafsaal ohne Rauchverbot. Bei den Details liegen die Werber wieder richtig: In 24 Stunden drehen 100 Leute einen Film in Berlin. An ungewöhnlichen Locations wie dem Brandenburger Tor. In zwanzig Gruppen zu fünf Leuten, gekennzeichnet mit bunten Tüchern an den Handgelenken, jedes Team für 15 Sekunden Anteil am fünfminütigen Gesamtkunstwerk. Thema: ein Tagesablauf in Berlin, Motto: Open Your Eyes! Doppelt folgerichtig sind schon vor Sonnenaufgang die Early Birds ausgeflogen, um Hauptstadtsymbole vor orangem Himmel einzufangen. Natürlich in Begleitung engagierter Jungfilmer, die den filmerisch mehrheitlich gänzlich unverbildeten kreativen Leuten die kreativsten Tricks beibiegen sollen. Gelehrigkeit wird belohnt: Sechzehn junge Menschen dürfen im Sommer die USA bereisen und unter noch professionellerer Anleitung weiterfilmen. Die Konkurrenz ist groß, denn das Marlboro-Project marketingelt dieser Tage durch fünf (west-)deutsche Großstädte.

Natürlich ist es eine echte kreative Herausforderung, mit 100 Leuten einen einzigen Film zu drehen, zu schneiden und damit zum Midnight-Screening (nächtliche Filmvorführung) fertig zu sein. So sah es auch einer der Profis vom Creative Team, der lieber nicht genannt werden möchte. Anfänglich hatte er durchaus Skrupel, sein Können in den Dienst des Konzerns zu stellen, doch dann obsiegte die Lust an der gelungenen Mischung aus „Geld und Freiheit“, der gut vergüteten freien Verfügungsgewalt über dollarschweres Equipment, dessen Sponsoren sicherlich lieber nicht genannt werden wollen.

Im Vordergrund aber steht die Botschaft an die Jugend. „Ihr könnt das, wenn ihr euch nur traut“, will Oliver den jungen Menschen sagen. Bei den Indianern sollen die auserwählten sechzehn dann lernen, daß es „auch andere Lebensweisen gibt, die funktionieren – das ist eine mentale Geschichte“. Und noch ein Irrtum will ausgeräumt sein: Marketingmenschen sind ehrliche Menschen: „Natürlich hat das Ganze auch etwas mit Werbung zu tun“, räumt Oliver freimütig ein.

Eine zeitlose Wahrheit muß indes bestätigt werden. „Zigaretten und Presse – das ist ja immer etwas kritisch“, hat Stephan, der sich im wirklichen Leben für Phil mit Arbeitsrecht beschäftigt, ganz richtig erkannt. Trüge er nicht dieses braune Cordhemd mit dem Project-Emblem – man könnte ihn mit seiner schmächtigen Statur und dem Dreitagebart für einen schüchternen Männergrüppler halten. Da kommt ihm die gruppendynamische Rhythmuseinlage gerade recht. Mit kreativen jungen Menschen tanzt er indianisch im Kreis, und sein Gesicht wird von einem seligen Lächeln erhellt. Gerade so, als hätte eben sein Astralleib eine leckere Lights geschmaucht. Holger Wicht