Mit Oswalt Kolle nach San Francisco

■ Die Sixties im Schnelldurchlauf: Das Berliner Theater des Westens behauptet sich mit „Let's Pop – Die 60er Jahre in 33 1/3 Umdrehungen“ als innovative Musicalbühne

Ziemlich viel Stolz und auch ein bißchen die Genugtuung dessen, der zuletzt doch recht behalten hat – beides war auf dem Gesicht des Intendanten Helmut Baumann zu erkennen, als er während der halbstündigen Standing ovations zum Ende der Show von der Direktionsloge schaute. Soll ihm der Kultursenator doch kommen und ihn in einen Topf (Peter Radunski nennt das in seinem Strukturplan der Berliner Kulturszene weniger salopp „Kreis“) mit dem Metropoltheater oder dem Friedrichstadtpalast werfen. Für den Fall, daß dann das Theater des Westens (TdW) seine Eigenständigkeit und auch Subventionen verlieren sollte, will Baumann das Handtuch schmeißen. Die neue Produktion des Hauses, die Uraufführung der 60er-Jahre-Revue „Let's Pop“, wird ihm den Rücken gewaltig stärken.

Mit Historical-Revuen hat das TdW beste Erfahrungen. Die „UFA-Revue“ (über die dreißiger Jahre) machte den Anfang, und „Jeans“ erzählte die Zeit zwischen Wiederaufbau und Wirtschaftswunder aus der Sicht einer kleinbürgerlichen Familie. „Let's Pop“ hingegen versteht sich als Stationendrama – mit allerdings äußerst knappen Handlungen. Sohn Hans (der junge, musikalisch wie darstellerisch sehr präsente Tenor Frederik Lycke) wird's in den heimischen Alpen zu langweilig; ihn zieht es nach San Francisco, wo das Hippieleben tobt. Der Weg dahin ist weit und führt über die Carnaby Street, die Avantgardeszene in Paris, zu einer Berliner Kommune, schließlich nach Mowtown City, in Andy Warhols Factory und endlich zur Golden Gate Bridge. Verfolgt immerzu von der bayerisch seligen Dirndl-Mama (Angelika Milster, die das Zeug zur deutschen Bette Midler hätte), seiner schwäbisch spießigen Ehefrau (Sylvia Wintergrün) und Herrn Oswalt K. (Monica Solem), der uns allen das Geschlechtsleben im allgemeinen und das Paarungsverhalten der Hippies im besonderen erklärt.

Dem Autoren- und Regieduo Jürg Burth und Ulf Dietrich lag wenig an einer politisch korrekten Geschichtsstunde. Sie setzen auf musikalischen Spaß und Comedy, gleich von der ersten Minute an. Mit einer furiosen Chubby-Checker-Nummer (grandios: F. Dion Davis) wird das Tempo und die Partystimmung vorgegeben, die man tatsächlich fast drei Stunden lang durchhält. Alles läßt sich verhackstücken: die Rolling Stones und Doors, Heintje, Heino und James Browns „Sex Machine“, Udo Jürgens und Drafi Deutscher. Die unterschiedlichen Songs werden geschickt textlich und musikalisch miteinander verschnitten und funktionieren wie Dialogversatzstücke: albern, aber treffsicher spaßig. In den heimatlichen Bergen (überdimensionale Busen samt Milka-Kuh) singt Mutter Milster zum Abschied Scott McKenzies San-Francisco-Hymne (auf kunstbayrisch natürlich), und fortan gilt keine Schamgrenze mehr, wenn es darum geht, Hits und Klassiker dreist zu verballhornen.

„Let's Pop“ arbeitet mit den Klischees der Zeit, sowohl musikalisch als auch gesellschaftlich. Die Studentenbewegung kriegt ihren Bühnenprospekt mit einem überdimensionalen Che Guevara, in der Kommune pinkelt man ohne Klotüre und praktiziert Gruppensex („Sagen Sie, essen Sie nach der Orgie noch mit?“). Andy Warhol tanzt gleich im Dutzend durch seine Factory, seriell wie seine Siebdrucke, und Angelika Milster persifliert eine Opernkammersängerin mit „Ticket to Tide“ samt Spinett und Bachtrompete. Es sind die vielen kleinen ironischen Brechungen, die spürbare Lust am Klamauk, die der Produktion den Drive verleihen. Einmal angeschoben, kommt die Drehbühne mit ihren ständigen Verwandlungen (Ausstattung: Mathias Fischer- Dieskau) kaum mehr zum stehen.

Auch das Musical „Shakespeare & Rock 'n' Roll“ nährt sich aus dem Repertoire der Sechziger. Doch beschränkt man sich dort auf das bloße Nachspielen der Hits. Für „Let's Pop“ wurden die Songs symphonisch aufgepeppt, teils musikalisch persifliert und von Adam Benzwi bisweilen so genial gegen den Strich gebürstet, daß daraus alles andere als eine schlichte Nummernrevue entstanden ist. Helmut Baumann darf sich wirklich freuen: Mit „Let's Pop“ ist er derzeit in Berlin, das so gerne Musicalhauptstadt Deutschlands sein möchte und die kommerziellen Shows, ob „Shakespeare & Rock 'n' Roll“ oder zuletzt „Space Dreams“, künstlerisch wie kommerziell der Reihe nach floppten, ganz und gar konkurrenzlos. Axel Schock

„Let's Pop“. Regie: Jürgen Burth/ Ulf Dietrich. Mit: Angelika Milster, Monica Solem, Frederick Lycke, u.a. Theater des Westens, Berlin. Bis 14. Juni täglich, außer Montag, um 20 Uhr