Kontrollierte Ausfälle

■ Alban Nikolai Herbst liest morgen

Den ersten Ausfall registriert Arndt an einem hellen Sonntagvormittag um zehn Uhr: Sein an der Tischkante angeschlagener Ellbogen signalisiert keinerlei Schmerz. Arnd wiederholt den Vorgang, wie es ein wissenschaftliches Experiment erfordert: Er spannt die Muskeln und rammt die Armbeuge erneut herunter. Nichts. Allein das Geräusch verursacht ein schmerzendes Gefühl – ein eher ästhetisches als ein physisches Phänomen, dünkt es Arndt, der sich wieder seiner Zeitung zuwendet.

Gefühle sind Arndt zutiefst suspekt. „Aus Emotionen, Ideologie und psychischem Leiden strahlte nichts als Affekt“, hatte er festgestellt. Sie verunreinigen das klare Denken, das frei von Affekten, rein und unabgelenkt zu halten ist. Denn allein Tatsachen, nicht Meinungen haben einen unmittelbaren Zugriff auf die Wirklichkeit. Dem Bemühen um das reine Denken widmet Arndt seine Sonntage, sein Leben, das umzuwölben schon der Anspruch auf wissenschaftliche Genauigkeit erfordert. Und so beobachtet Arndt nicht von innen nach außen, er verleibt sich vielmehr das äußere Geschehen (am Ende sogar einen Fernseher) ein, und benutzt es als Anlaß zur Selbstreflexion. Er analysiert, seziert, protokolliert, wobei sich der eigene Körper immer wieder als Störfaktor erweist. Daß der ausgeschaltet werden muß, erscheint logisch. Zuerst ist es nur der schmerzende Ellenbogen. Schließlich das gesamte Ich, das bis in die letzten Winkel ausgeleuchtet in seine Atome zerfällt: Herr Arndt verschwindet...

Herr Arndt ist keine Erfindung, versichert Alban Nikolai Herbst. Der Frankfurter Broker und Schriftsteller behauptet sogar, Herrn Arndt persönlich kennengelernt haben. Was wiederum so faszinierend gewesen sei, daß er nach dessen Verschwinden sogleich mit der Niederschrift jener Denkwelten begann, die soeben im Novellen-Zyklus „Der Arndt-Komplex“erschienen sind.

Im März auf den Markt gekommen, wird das neueste Werk des Autors Alban Nikolai Herbst bereits als „ein literarisch hochkarätiges Verwirrspiel“gefeiert. Ein Verwirrspiel auf 125 Seiten, was, gemessen an den 1.600 Seiten seines mehrfach ausgezeichneten Romans „Wolpertinger oder das Blau“, den Herbst 1991 mit großem Erfolg im Ambiente vorstellte, recht kurz erscheint. Morgen um 20 Uhr ist der Autor erneut im Ambiente und liest aus dem „Arndt-Komplex“. dah

„Der Arndt-Komplex“, Rowohlt-Verlag, 29,80 DM