Der Süden fürchtet eine „Kriegserklärung“ Europas

■ Den Maghreb-Staaten sind die europäischen Militärstrategien nicht ganz geheuer

Die Logik von Muammar al- Gaddafi ist einfach. „Wir haben jetzt auch das Recht, eine schnelle Eingreiftruppe für Europa zu gründen“, verkündete Libyens Staatschef nur wenige Tage nachdem die Westeuropäische Union (WEU) im letzten November ihre Pläne bekanntgegeben hatte, eine 15.000 Mann starke Truppe (Euroforce) für den Einsatz in Krisengebieten aufzustellen. „Eine Kriegserklärung seitens der Europäer, eine neue Form des internationalen Terrorismus“, tobte Gaddafi in einer Fernsehansprache und legte gleich noch eins drauf: „Ich kann künftig eine Unterstützung für die IRA oder Gruppen in anderen europäischen Ländern und auf dem Balkan nicht ausschließen.“

Gaddafi sieht sein Land in der Schußlinie der neuen, auf Initiative von Frankreich, Spanien und Italien gegründeten multinationalen Heeres- und Marineverbände Euroforce und Euromarfor. Er verweist dabei auf Erklärungen aus Paris, denen zu Folge das künftige Operationsfeld dieser Eingreiftruppen in Afrika liege, um dort beispielsweise Europäer aus Bürgerkriegsregionen wie Algerien zu evakuieren. Eine Vision, die auch die anderen südlichen Mittelmeeranrainer nicht kalt läßt, auch wenn die Töne nicht ganz so kriegerisch klingen wie bei Gaddafi. Algeriens Präsident Liamine Zéroual protestierte bereits letzten Frühsommer, als die WEU in Birmingham erste Schritte „zur Stärkung des europäischen Pfeilers der Atlantischen Allianz“ unternahm. Für Tunesiens Außenminister Habib Ben Yahia ist diese Reform des westlichen Bündnisses „unvereinbar mit der Tradition des Dialogs und der Verständigung, die wir zu erhalten bestrebt waren“.

Die Gründung von Euroforce ist nur eine von vielen Maßnahmen, die als deutliches Zeichen für eine Umorientierung der Nato gewertet werden: weg vom Osten, hin zum Süden. So wird in den letzten Jahren Spaniens Mittelmeerküste zusehens mit Radaranlagen bestückt, deren Reichweite bis tief in den afrikanischen Kontinent langt. Auf den Kanarischen Inseln ist eine Abschußrampe für Beobachtungssatelliten in Planung.

Fernando Pardo de Santayana, bis 1994 spanischer Vertreter im Militärkomitee der Nato, stimmt in der spanischen Tageszeitung El Pais auf die neue Rolle Madrids ein: „Spanien ist heute nicht mehr Nachhut, sondern Avantgarde der Nato. Das Land ist Grenze und Brückenkopf nach Afrika (...) und könnte für den Maghreb bald die Rolle spielen, die Italien im Krieg in Exjugoslawien einnahm.“ Die neuen Feinde: der Islamismus und Libyen, das, so eine in El Mundo veröffentlichte geheime Nato- Analyse, bis zum Jahr 2006 mit eigenen biologischen und chemischen Mittelstreckenraketen ganz Südeuropa bedrohen soll. Die tunesische Tageszeitung Le Temps warnt: „Euroforce wird Spannungen zwischen den beiden Ufern des Mittelmeers hervorrufen und vielleicht all das zunichte machen, was bisher zum besseren Verständnis der Menschen auf beiden Seiten unternommen wurde.“

Dabei scheint gerade in der immer engeren, vor allem wirtschaftlichen Zusammenarbeit einer der Gründe für die Euroforce zu liegen. Ein immer größerer Teil des europäischen Erdgasverbrauchs wird durch Vorkommen in der algerischen Wüste gedeckt; über Marokko wird der Rohstoff nach Spanien geleitet, über Tunesien nach Italien. Eines der Szenarien, das im Maghreb immer wieder in die Diskussion geworfen wird, ist ein Militäreinsatz europäischer Truppen, um ganz in US-Manier „unser Erdgas“ auch im Krisenfall zu sichern. Reiner Wandler, Madrid