„Der zweite Kalte Krieg hat schon begonnen“

■ Konstantin Borowoj, Abgeordneter im russischen Parlament, zu Rußlands Antiposition

Borowoj, 49, ist Dozent der Ingenieurswissenschaften und Mitbegründer und Präsident der „Russischen Waren- und Rohstoffbörse“. Aus Protest gegen den Anti-Nato- Kurs der Duma-Mehrheit gründete er kürzlich gemeinsam mit dem ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten des Präsidenten, Sergej Kowaljow, und fünf weiteren Abgeordneten eine Gruppe mit dem Namen „Anti-Anti-Nato“.

taz: Sie sind für die Erweiterung der Nato nach Osten?

Borowoj: Sogar für den Eintritt Rußlands in die Nato. Die Osterweiterung sichert in gewisser Weise die demokratischen Errungenschaften Rußlands ab und gewährleistet die Einhaltung der von Moskau unterzeichneten internationalen Abkommen. Einer wie Außenminister Primakow etwa stellt für Rußland eine sehr viel größere Gefahr dar als die Nato.

Viele warnen, die Osterweiterung treibe faschistoiden, national-patriotischen Kreisen in Rußland Anhänger zu.

Solche Stimmen erinnern mich an die Klagen der Katze über die Verschlechterung der Lebensbedingungen der Mäuse. Diese Leute schüren die Gefahr, über die sie Tränen vergießen, ja selbst mit ihrem Geschwätz von Rußlands „nationaler Erniedrigung“. Die gegenwärtige Anti-Nato-Propaganda der Regierung reaktiviert natürlich bei den alten Leuten Stereotypen: der aggressive imperialistische Block Nato, die bösen Amerikaner! Um diese Dämonen zu beschwören, braucht man gewisse Schlüssel. Und so ein Schlüssel ist Außenminister Primakow selbst. Seine Terminologie, sein Äußeres, diese Augenbrauen – da kommt sofort die Assoziation: Breschnjew! Was aber die Bevölkerung insgesamt angeht, so besagen heute Zahlen aus Moskau, daß nur 21 Prozent sich vor der Nato-Osterweiterung fürchten, 30 Prozent halten sie für ungefährlich, und den übrigen ist sie piepegal.

Sie haben die Anti-Nato-Kampagne der Medien mit der psychologischen Vorbereitung auf den Krieg in Tschetschenien verglichen. Was wird heute vorbereitet?

Der zweite Kalte Krieg, und er hat schon begonnen. Noch vor anderthalb Jahren wäre es unmöglich gewesen, von einem atomaren Erstschlag Rußlands gegen die Nato-Länder zu sprechen, wie dies neulich Sicherheitsratssekretär Rybkin getan hat. Das ist schon lange nicht mehr die Außenpolitik eines demokratischen Landes.

Welche Rolle spielt Ihre Deputiertengruppe?

Wir gründen jetzt eine größere, gemäßigtere „Atlantische Deputiertengruppe“. Sie wird demnächst etwa 45 Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen umfassen. Wir wollen die Aufmerksamkeit auf die wirklichen Probleme Rußlands lenken. Was unsere politische Elite betrifft, so glauben diese Leute selber nicht, daß die Nato eine Gefahr für Rußland darstellt. Indem sie ihr Volk belügen, rennen sie in eine Falle, in der Außenminister Primakow bereits sitzt. Er versprach, die Nato zu stoppen. Da aber deren Erweiterung unausweichlich ist, ist auch Primakows Ende unausweichlich. Interview: Barbara Kerneck