Berlin zappelt im Spinnennetz der CDU

Der US-Journalist Mathew D. Rose gibt einen sehr materialreichen, aber etwas altbackenen Einblick in die Berliner CDU-Elite. Denn zu kurz kommt die treibende Rolle der Konzerne bei der Modernisierung des Hauptstadt-Filzes  ■ Von Werner Rügemer

„Viele Politiker in Berlin leben wie die Made im Speck. Sie vertreten das eigene Bankkonto, die eigenen Vorteile, ihren eigenen Familien- und Freundeskreis, ihre Sponsoren und Mittäter aus Politik und Wirtschaft.“ Mathew Rose, seit 15 Jahren in Berlin lebend, freier Mitarbeiter des Spiegel und anderer Medien, will auch eine Diagnose für ganz Deutschland abgeben: „Was sich in Berlin abspielt, ist exemplarisch für die restliche Bundesrepublik.“

Rose zeichnet ein „Sittenbild“, das „nur einen sehr kleinen Ausschnitt der Spitze eines immensen Eisbergs“ ausmacht. Er läßt die „SPD und ihre Machenschaften“ beiseite, beschränkt sich auf die CDU als dominierende politische Kraft Berlins. Er läßt seine Darstellung 1987 beginnen, begreift sie als Fortsetzung des Buches „Antes & Co.“, in dem Michael Sontheimer und Jochen Vorfelder damals die Immobilienaffäre um Baustadtrat Antes geschildert hatten. Seitdem hat die CDU, so Rose, den Filz modernisiert: Es wandern keine Briefkuverts mehr unter dem Tisch entlang, sondern in einer umfangreichen „Klientelwirtschaft“ werden Pöstchen und öffentliche Gelder mit legalem Anschein verschoben.

Rose zeichnet die Vorgeschichte des CDU-Filzes nach. Die gegenwärtige Kerngruppe der CDU bildete sich seit 1963 heraus, als der heutige Bürgermeister Eberhard Diepgen Vorsitzender des Allgemeinen Studentenausschusses war. Zur „Crew“ gehören Klaus-Rüdiger Landowsky, Peter Kittelmann, Gero Pfennig, Peter Radunski, CDU-Hausanwalt Peter Raue und einige weitere, die heute im Abgeordnetenhaus und in landeseigenen Banken und Unternehmen zahlreiche Posten auf sich vereinigen. In dem vom späteren Bundespräsidenten von Weizsäcker geführten Senat wurden sie zum ersten Mal regierungsfähig. In der „Antes-Affäre“ gehörten sie zu den Schmiergeldempfängern des Bauunternehmers Franke. Das war die Feuertaufe. Als bevorzugte Treffpunkte des danach modernisierten Filzes schildert Rose den Verein „Freunde der Nationalgalerie“, den „Lawn Tennis Turnier Club Rot-Weiß“ (LTTC Rot-Weiß) und die „zahlreichen Aufsichtsrats-, Vorstands-, Verwaltungsrats- und Kuratoriumssitzungen der vielen subventionierten privaten oder halbstaatlichen Unternehmen“.

Als mächtigster Politiker Berlins wird Landowsky genannt – CDU-Fraktionsvorsitzender mit Aufsichtsratsposten bei der Berliner Bankgesellschaft, der Berliner Hypotheken- und Pfandbriefbank, der Deutschen Klassenlotterie Berlin usw. –, während Diepgen das „Polit-Mannequin“ mimt. Zum Filz gehört die Staatsanwaltschaft: „Wenn es um Ermittlungen gegen wichtige Politiker geht, besonders wenn die Spuren zu nah an die CDU heranführen, scheinen solche Fälle immer eingestellt zu werden.“ Das liegt nahe: Volker Kähne, Staatssekretär der Senatskanzlei, ist ein ehemaliger Oberstaatsanwalt.

Die Klientelwirtschaft schildert Rose anhand der Klassenlotterie Berlin, des LTTC, des Fußballclubs 1. FC Union, der Olympia Berlin 2000 GmbH, der Olympia Marketing GmbH, der Partner für Berlin Hauptstadt Marketing GmbH, des Radiosenders 100,6 und der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH. Beispiel für dreiste Klientelwirtschaft ist die Klassenlotterie. Im Stiftungsrat – drei Senatoren und drei Abgeordnete – tauchen bekannte Namen auf: Diepgen, Rexrodt, Jutta Limbach. Er verteilt 140 Millionen Mark jährlich. CDU, SPD und FDP bedienen ihre Parteistiftungen mit Beträgen zwischen 1,7 und 0,7 Millionen Mark. In den subventionierten Vereinen wie Berlin meets Berlin, Drogenhilfe Tannenhof, Europäische Akademie und Karl- Hofer-Gesellschaft finden sich auf Geschäftsführerposten bevorzugt Filz-Mitglieder. Viele Millionen gehen in den Profisport, zum Beispiel an den Prominentenclub LTTC Rot-Weiß.

Bei den GmbHs zur Bewerbung Berlins um die Ausrichtung der Olympiade und bei der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH kommt Rose auf große Unternehmen zu sprechen: Daimler-Benz, Bertelsmann, Deutsche Bank, Schering, Veba, Lufthansa, Mannesmann, WestLB und Immobilienfirmen. Sie bezeichnen sich als Sponsoren, die Politiker schwärmen von „Private-Public Partnership“. Wie Rose darlegt, handelt es sich in Wirklichkeit um „Subventionsstätten für deutsche Konzerne“, die mit dubiosen Sachleistungen ihre Anteile verrechnen oder Senatsknete für millionenteure „Planungsstudien“ abgreifen.

Roses Berliner Sittenbild läßt Ähnlichkeiten mit anderen westdeutschen Städten hervortreten, etwa zur Entstehung der heutigen Filz-Kerngruppen in den 60er Jahren, die Gründung zahlloser privater Unternehmen durch Politiker, die stützende Rolle der lokalen Medien und die politische Abhängigkeit von Staatsanwaltschaften. Der Mangel an Roses Sittenbild liegt in der diffusen Begrifflichkeit: Filz, Korruption, Seilschaft sind ihm gleich. Korruption im strafrechtlichen Sinne – Bestechung, Bestechlichkeit – beschreibt er an keiner Stelle. Rose versucht alles mit der altbackenen Kategorie der „Selbstbereicherung der Politiker“ zu erklären. Damit blockiert er die Einsichten in die von ihm selbst ausführlich belegte treibende Rolle der Konzerne bei der Modernisierung des Filzes, der Degeneration von Politik und der Ausblutung des Staates.

Mathew D. Rose: „Berlin. Hauptstadt von Filz und Korruption“. Droemersche Verlagsanstalt, München 1997, 304 S., 39,80 DM

Werner Rügemer ist Autor von „Wirtschaften ohne Korruption?“, Fischer TB, 1996