Der Aufstand der EU-Zwerge

Die Außenminister streiten um die Machtverteilung in Brüssel. Die kleinen Länder wollen auch künftig Kommissare stellen. Die Großen fürchten, von den Kleinen überstimmt zu werden  ■ Von Alois Berger

Die Diskussion um die Reform der Europäischen Union bekommt Zunder. Zehn Wochen vor Abschluß der EU-Regierungskonferenz, an deren Ende der Maastricht-II-Vertrag unterschrieben werden soll, kamen sich die 15 Außenminister bei ihrem zweitägigen Treffen im holländischen Badeort Noordwijk wegen der künftigen Zahl der EU-Kommissare in die Haare. Vor allem die kleineren Länder sperren sich dagegen, daß es künftig statt der bisher zwanzig nur noch zehn bis zwölf Kommissare geben soll. Irland droht damit, die ganze Reform zu blockieren. Denn nur wer einen EU-Kommissar in der Zentrale in Brüssel hat, kann sicher sein, in wichtigen Fragen rechtzeitig informiert und beteiligt zu sein. Schon heute, mit 20 Kommissaren, ist der Apparat behäbig. Wenn die EU in den nächsten Jahren weitere Länder aufnimmt, wird die Schwerfälligkeit noch zunehmen. Frankreich, Spanien und Großbritannien wollen deshalb die Zahl der Kommissare auf zehn bis zwölf begrenzen. Deutschland unterstützt die Initiative.

Bisher hat jede EU-Regierung einen Kommissar in Brüssel, die fünf großen Länder Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien stellen sogar zwei EU-Kommissare. Daß sie einen davon verlieren werden, gilt als sicher, doch das reicht nach Ansicht der Großen nicht. Spanien und Großbritannien wollen ein System wie im UN-Sicherheitsrat: fünf ständige und fünf bis sieben wechselnde Mitglieder. Das würde bedeuten, daß die fünf Großen einen EU-Kommissar behalten und die anderen Länder sich abwechseln.

Als kleines Land müsse man sich sehr genau überlegen, meint ein irischer Diplomat, ob ein EU- Beschluß mit einem Veto blockiert werden solle. Wenn man als konstruktiver EU-Partner ernst genommen werden wolle, könne man höchstens alle paar Jahre ein solch schweres Geschütz auffahren. Doch ohne einen irischen Kommissar, der eine „Antenne für die irischen Probleme“ habe, verliere die EU-Kommission für die meisten Iren die Legitimität. „Das ist der Knackpunkt“, so der Diplomat, „das geht nur über unsere Leiche.“ In Österreich, Luxemburg, Dänemark und Holland wird das ähnlich gesehen.

Doch möglicherweise ist das nur ein Vorgeplänkel. Die Zahl der EU-Kommissare ist bei weitem nicht die heikelste Frage der laufenden Regierungskonferenz. Die wirklich umstrittenen Entscheidungen fallen erfahrungsgemäß erst in der letzten Nacht vor der Vertragsunterzeichnung. Dann kommen alle Probleme gleichzeitig auf den Tisch und werden gegeneinander aufgerechnet.

Der Streit um die Zahl der Kommissare ist vermutlich nur eine Verhandlungsposition, die von einigen Regierungen aufgebaut wurde, um sie gegen etwas Wichtigeres einzutauschen: etwa gegen die doppelte Mehrheit im Ministerrat. Denn auch hier geht es gegen die Kleinen. Länder wie Frankreich, Deutschland und Großbritannien befürchten, nach der Erweiterung regelmäßig von einer Reihe von Kleinstaaten überstimmt zu werden. Deshalb soll für Beschlüsse im Ministerrat neben der Mehrheit der Regierungen auch die Mehrheit der Bevölkerung berücksichtigt werden. Deutschland hätte dann 80 Millionen Stimmen, Luxemburg nur 400.000. Damit sich Länder wie Luxemburg das gefallen lassen, muß ihnen etwas geboten werden: die Zusicherung beispielsweise, daß sie auf alle Zeiten einen Kommissar in Brüssel haben werden.